Mittwoch, 7. März 2018

:)Rezension:): Der Report der Magd

Grundwissen:



Titel: Der Report der Magd (original: The Handmaid's Tale)
Autor/-in: Margaret Atwood
Erschienen: April 2017 neuaufgelegt im Piper-Verlag; original 1985
Seitenanzahl: 416 Seiten
Preis: 11, 99 € (Kindle Edition); 12, 00 € (Taschenbuch); 25, 00 € (Hardcover) [Quelle: amazon.de]
Genre: Dystopie; Klassiker; Adult




Quelle: © Piper Verlag
Quelle: © Anchor Books
 
 
Quelle: © Anchor Books



Inhalt:



 I avoid looking down at my body, not so much because it's shameful or immodest but because I don't want to see it. I don't want to look at something that determines me so completely. - Offred (S. 63)



 Der monotheistische totalitäre Staat Gilead beruft sich auf die biblische Szene zurück, in der Jakob und Rachel nur durch deren Magd gemeinsam ein Kind gebären können. Die Geburtenrate ist sehr zurückgegangen und häufig werden kranke oder missgebildete Kinder auf die Welt gebracht. Aus diesem Grund werden die gesündesten der Frauen als sogenannte Mägde bei hoch angesehenen Männern und deren Frauen eingesetzt, damit die menschliche Rasse erhalten bleibt. Eine von diesen Mägden ist Desfred, die sich noch an die Zeit vor dem Staat Gilead erinnern kann und nichts mehr ist als ein Mittel zum Zweck, der aber trotz aller Hoffnungslosigkeit ihre Geschichte erzählt.




Meine Meinung ... 




zum Buch:




Selten wurde ein Dystopie-Klassiker so heftig zurück in die Köpfe der Menschen geholt wie Der Report der Magd. Das kommt nicht nur durch die sehr erfolgreiche Fernsehserie zustande, sondern auch durch die wieder steigenden Verkaufszahlen des Romans, der nun in etwa so alt sein dürfte wie seine Protagonistin und trotzdem so zeitlos ist wie kaum andere bekannte Werke dieses Genres.
Das Faszinierende ist nämlich, dass man sich, obwohl man in keinem so rückständigen Land lebt wie Desfred, problemlos in dieser beklemmenden Vision einfinden kann. Es gibt so einige Situationen, die man trotz des religiösen Kontexts in der heutigen Gesellschaft wiedererkennt, natürlich insbesondere im Bezug auf die Behandlung und Ansicht von Frauen. An diesen Stellen muss man das Buch für einen Moment zuklappen und verdauen, dass es sich so erschreckend real anfühlt wie bereits durchlebte Momente, die in Atwoods Werk einfach überspitzt wurden. Egal ob es sich um Slutshaming, geschlechtliche Unterordnung, Eifersucht, Abtreibung oder einen verzweifelten Kinderwunsch handelt, man findet viel zu viele Themen, die schon damals umstritten waren und bis in die heutige Zeit hineinreichen. Solche patriarchalischen Darstellungen wie in The Handmaid's Tale gibt es sicherlich auch anderswo auf dieser Welt bereits jetzt, was das Ganze umso fürchterlicher macht. So schafft es Margaret Atwood eine sehr glaubwürdiges, vor allem durch Desfreds aufgegriffene Themen detailreiches und dennoch abstraktes World-Building zu erschaffen, in das man sich insbesondere als weibliche Leserin zu sehr hineinfinden kann.
Das liegt unter anderem auch an ihrem sehr eindringlichen Schreibstil, der einen sofort an die Seiten fesselt trotz des grauen und grauenhaften Alltags, den die Protagonistin durchleben muss. Es sind einfache Worte, die sie wählt, und trotzdem erwischt einen die Symboliken sowie Beschreibungen mit so einer Wucht, dass man manchmal Abstand zur Geschichte braucht, um weiterzulesen. Manchmal ist es das oberflächlich Rationale in der Erzählstimme der Protagonistin sogar das, was einem den Rest gibt. Denn aus ihren Erzählungen spricht zwar Sehnsucht nach der Zeit vor Gilead, die sie im Gegensatz zu vielen Protagonisten dieses Genres sogar miterlebt, jedoch auch eine gewisse Resignation und Ablehnung von Hoffnung. Allgemein schafft es die Autorin ganz wunderbar zu vermitteln, wie durch diesen Fokus auf den Geschlechtsverkehr als rein biologische Notwendigkeit die Nähe und Liebe innerhalb der Gesellschaft komplett verloren geht. Das zeigt Atwood nicht nur durch die symbolhafte Kleidung der Mägde - beispielsweise eine Kopfbedeckung, die ihren Trägern die Möglichkeit nimmt, ihr Gegenüber von der Seite anzusehen, und folgerichtig auch nur sein Ziel und seine Bestimmung vor Augen zu haben -, sondern auch durch das absolute Verbot alles Individuellen, angefangen damit, dass die Protagonistin nur noch als Posessionsobjekt angesehen wird - sie ist die Magd des Fred; ihren wahren Namen erfährt man nie. Das passt zu dem religiösen Kontext, in dem die Geschichte verankert ist, und verleiht dem Ganzen noch eine zusätzliche Schwere. Natürlich gibt es auch in anderen Büchern mit einer Zukunftsvision Zensur, doch hier ist das nicht nur ein Mittel, um die Leute nur der Propaganda auszuliefern, sondern passt auch zu Atwoods Nebenaussage ihrer Geschichte: dass jede davon nicht nur für einen selbst erzählt wird, sondern damit andere sie hören. 
So kann allerdings auch kein Kontakt zu irgendwem entstehen. Es gibt bis auf die Geburtenrate und den Staat niemanden, der von diesem System profitiert. Es sei versichert, dass die Sexszenen in diesem Roman zu den beklemmendsten und unangenehmsten gehören, die man jemals wird lesen können, ohne einen Hauch von Erotik oder auch nur Gefallen an dem Ganzen. Weder für die Frauen (Mägde oder Ehefrauen) noch für die Männer ist diese Notwendigkeit angenehm, und auch das macht das Buch zu etwas Besonderem. Denn häufig sieht man sich mit Figuren konfrontiert, die total in der Propaganda des Systems gefangen sind; hier hingegen kann selbst der sog. Commander seine Einstellung nicht aufrechterhalten, obwohl er zu der Gruppierung gehört, die die Regierung vor Gilead gestürzt haben. Nahezu alle Beziehungen in diesem Roman basieren - und das trotz aller Propaganda und der christlichen Nächstenliebe - auf einem gegenseitigen Brauchen des anderen, was dieses Konzept wunderbar auf die Spitze treibt. Und obwohl Vieles, was von Desfred verlangt wird, absolut amoralisch und egoistisch ist, man kann hinter diesen selbstsüchtigen Taten doch die Verzweiflung sehen, die diese Menschen dazu treibt - auch bei den Männern, die ähnliche Opfer dieser Gesellschaft sind wie die Frauen.
Trotz der grossen Emotionalität hinter der Story und all den viel zu bekannten Sachen, die einem diese Dystopie klar vor Augen halten - die Story an sich ist sehr schwermütig und führt ins Nichts. Dabei gibt es durchaus Ansätze der Autorin zu zeigen, dass es einen Untergrund gibt, der für die Wiederaufnahme der Frauenrechte kämpft, allgemein werden viele Subplots von ihr angerissen, aber vollständig ausgeführt wird nichts davon. Es bleibt bei Andeutungen und Fragmenten, die sowohl Protagonistin wie auch Leser verschlossen bleiben. Wer sich also eine Rebellion erwartet oder allgemein einen altbekannten Aufbau, der wird hier bitterlich enttäuscht werden. Vom Unterhaltungsfaktor her kann das Buch einem also nicht so viel bieten, obwohl die Autorin mit Sicherheit die Kombinationsgabe gehabt hätte, so etwas Komplexes zu erschaffen. Jedoch wird mit dem Epilog, der Vorlesung eines Historienprofessors, der den titelgebenden Report der Magd interpretiert, deutlich, dass es gar nicht ihre Absicht ist, eine zusammenhängende und vollkommen runde Geschichte zu schreiben. Eher möchte sie damit zeigen, dass nichts aus der Menschheitsgeschichte vollständig rekonstruiert werden kann und es nicht nur eine Möglichkeit gibt, ein bestimmtes Ereignis zu interpretieren. Und die Tatsache, dass die Autorin ihre Geschichte wie als Teil der Menschheitsgeschichte darstellt, weil es solche oder andere Formen des Patriarchats oder Puritanismus schon mal gegeben hat, ist ein genialer Gedanke. So oder so wirkt es in den letzten Kapiteln noch loser und unzusammenhängender als sowieso schon, insbesondere da Desfreds Entscheidungen häufig schwer nachzuvollziehen sind. 




Wer kein Freund von offenen Enden oder losen Fäden und Theorien ist, der sollte also einen grossen Bogen um dieses Buch machen. Diejenigen jedoch, die sich in einer wirklich düsteren und erschreckend aktuellen, realistischen Vision verlieren wollen, werden in Der Report der Magd eine Goldgrube vorfinden. Einfühlsam und doch apathisch erzählt eine Frau, die keine Identität, sondern nur noch einen Besitzer hat, von ihrem grauen, aber fein ausgearbeiteten Alltag, der sich so sehr von ihrem ,,normalen'' Leben unterscheidet. Ein wirklich ergreifendes Buch voller Gefühle und der Suche aus der Einsamkeit trotz körperlicher Nähe, jedoch keines mit einer sich weiterentwickelnden Handlung oder allgemein dem, was man als gewöhnlichen Aufbau bezeichnen könnte. Gefühlvoll fast schon überladen, storytechnisch jedoch nur ein kleiner Einblick in eine nicht ganz vergangene Zukunft.




 Ich gebe dem Buch:


 ♥ Herzchen


Extra:



 Margaret Atwood ist für dieses Werk zwar am bekanntesten, allerdings hat sie auch viele andere Werke geschrieben. Hier findet ihr eine Auflistung davon :)
Seid ihr auch neugierig auf die Serie geworden? Dann werft mal einen Blick in den Trailer ... und habt Entertain-TV. Sonst werdet ihr sie nämlich leider nicht ansehen können.

CU
Sana

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