Sonntag, 20. August 2017

:)Rezension:): Tampa

Grundwissen:



Titel♥: Tampa (original: Tampa)
Autor/-in♥: Alissa Nutting
Erschienen♥: 2014 im Hoffmann-und-Campe-Verlag (Hardcover)
Seitenanzahl♥: 288 Seiten
Preis♥: 19, 99 € (Hardcover); 15, 99 € (Kindle Edition) [Quelle: amazon.de]
Genre♥: Contemporary; Drama; Satire; Tabuthema










Inhalt:



Mit dem Sex war es wie mit Krustentieren,die möglichst fangfrisch geschält und verzehrt werden mussten, um den Heißhunger zu befriedigen. Selbst Sechzehn- und Siebzehnjährige waren oft schon zu bequem für einen unvoreingenommenen Blick auf ihre Schamlosigkeit. Sie machten die Augen zu, um keine Orgasmusgrimassen sehen zu müssen, und steckten ihre durch und durch unvollkommenen Körper in Unterwäsche für Models und Mannequins. [...] Aller widersprüchlichen Ironie zum Trotz war Sex für mich die einzige Art, die Vollkommenheit des Aktes zu wahren. Teenager beobachten genau, jedes Detail wird zwanghaft registriert, das liegt in ihrer Natur. Wie sonst sollte man Sex haben? - Celeste Price (S. 47)




Celeste Price ist eine fleischgewordene Männerfantasie und gerade frisch von der Uni weg. Sie lebt in Saus und Braus durch ihre Zwecksheirat mit einem reichen Mann, und kann ihren ersten Tag als Middleschool-Lehrerin kaum abwarten. Sie scheint nett, fällt ihren Kollegen positiv auf, und ihre Schüler mögen sie - insbesondere die Jungs. Doch niemand ahnt, dass Celeste nicht ohne Grund Lehrerin einer Klasse voller Vierzehnjähriger werden wollte. Denn genau diese Altersklasse erregt sie mehr als jeder Mann in ihrem Alter es je könnte. Jede Stunde sucht sie nach einem geeigneten Opfer und findet dieses in ihrem stillen Schüler Jack, der sich übereifrig auf eine Affäre mit ihr einlässt.




Meine Meinung ...




zum Buch:




Mit ihrem Debüt hat Alissa Nutting ein wahnsinnig kontroverses Werk geschaffen - nicht nur dass es mit sehr bekannten Büchern wie Lolita von Vladimir Nabokov und American Psycho von Bret Easton Ellis verglichen wird, auch bieten die Geschehnisse in dem Buch viele Parallelen zu einem Fall im Jahre 2008. In diesem Jahr hat eine Lehrerin namens Debra LaFave in Tampa zwei ihrer Schüler vergewaltigt und scheint zumindest in diesem Interview genauso wenig über ihre Fehler im Klaren zu sein wie Celeste Price es in diesem Buch ist.
Dies ist nämlich das, was das Buch so provokant und in einigen Passagen sehr schwer zu lesen macht. Denn wenn man eines nicht von der Protagonistin erwarten kann, dann, dass sie im Laufe des Buches das Ausmaß ihrer Handlungen begreift. Sie wäre aufgrund ihrer pädophilen Vorlieben von vorneherein schon kein Sympathiebolzen gewesen, doch Nutting macht sie zu einer kalten Psychopathin. Dabei ist es nicht mal wie bei Humbert Humbert so, dass ihr wirklich etwas an ihren Opfern liegt und sie deswegen ihre Taten vor sich schönredet. Nein, sie kann schlichtweg nicht begreifen, dass sie etwas Falsches tut und bemüht sich nur um Diskretion, weil ihre Begierden gesetzlich verboten sind. Während der Protagonist aus Lolita einem also ein Fünkchen Mitleid entlocken kann, hasst man Celeste abgrundtief und hofft für sie, dass die Affäre auffliegt. Denn mehr als ein Mittel zum Zweck sieht sie in keinem ihrer Mitmenschen, nicht in ihrem Schüler Jack, nicht in ihrem Ehemann, nicht mal in einer freundlichen Kollegin. Das macht sie zusätzlich zu ihrer übertrieben anzüglichen Art zu einer unausstehlichen, doch faszinierenden Protagonistin. Denn die Art, wie sie alle um sich herum manipuliert und rücksichtslos alles für ihre Befriedigung tut, ist so überspitzt, dass man diese Frau als hochgradig interessant empfindet. Vor allem dass sie die Überzeugung vieler, dass Frauen keine Täter sein können, für sich ausnutzt, bringt auch die versteckte Kritik in Tampa zum Ausdruck.
Denn sicherlich sind Personen, die auf Kinder stehen, nicht immer seelenlose Monster. Daher wäre es auch verständlich, wenn einige Leser Celeste als zu übertrieben ansehen würden, sowohl in ihrer fehlenden Moral als auch in ihrer dargestellten Sexualität. Doch diese Faktoren zeigen eigentlich umso mehr, was mit unserer Gesellschaft nicht stimmt: dass gutaussehende junge Frauen mit ihren Straftaten davonkommen, nur wegen ihres Aussehens und Geschlechts. Denn Celeste hätte wirklich nicht noch unsympathischer sein können ohne dass sie wie eine komplette Karikatur gewirkt hätte. So wählt die Autorin also einen interessanten Weg um die Leser mit den Fehlern unseres Systems vor den Kopf zu stoßen, was vor allem im späteren Handlungsverlauf sichtbar wird.
Abgesehen davon spricht sie auch die Gründe hinter Celestes Vorlieben an, die auch als Parodie auf die Gesellschaft verstanden werden kann. Denn Sex wird häufig als etwas zwischen jungen Leuten angesehen, etwas, das jemanden alleine bei der Vorstellung von zwei Menschen über sechzig, die Geschlechtsverkehr haben, das Gesicht verziehen lassen könnte, und was bei Celeste eben schon bei Bärten und Körperbehaarung anfängt. Insofern kann man sie auch nicht nur als Feinbild verstehen, sondern auch als eine gewöhnliche Frau, die Angst vor dem Altern hat. Dass dies neben ihrer Hauptkritik eingewoben wurde, ist ein ziemlich guter Handgriff und macht das Buch zu etwas ganz Eigenem. Denn weder sind die Elemente der Satire groß genug, dass man es als reine Parodie verstehen, noch ist es realistisch genug, dass man es als zeitgenössisches Drama bezeichnen könnte.
Den realistischen Teil von Tampa bildet nämlich die Beziehung zwischen Celeste und Jack. Insbesondere wegen der sehr expliziten Sexszenen hätte man nämlich etwas rein Zweckmäßiges für beide Beteiligten aus der Affäre machen können, aus Jack einen kleinen pubertären Proll, der sich an seiner Eroberung hochzieht. Stattdessen wählt die Autorin in ihm einen eher unsicheren, unerfahrenen Jungen, dessen ganze Weltsicht durch die Hauptperson auf den Kopf gestellt wird. Selbst wenn man keine Kinder mag wird man nicht drumherumkommen, Mitleid für ihn zu empfinden dafür, dass er seine ersten Erfahrungen in Sachen Liebe auf solche Weise sammeln und er unter Celestes Gelüsten leiden muss. Es wird sehr gut beschrieben, wie er sie einerseits zufriedenstellen möchte, andererseits zu jung ist um zu verstehen, dass sie nicht dasselbe empfindet wie er. Rein psychologisch gesehen also eine sehr interessante und an vielen Stellen schwer zu beobachtende Beziehung - vor allem als die Sache zu eskalieren droht.
Denn Spannung kommt in diesem Roman durchaus auf. Nicht nur ist diese perverse Situation daran schuld, sondern auch wie diese und die Personen sich nach und nach verändern. Man ist neugierig, wie die beiden es schaffen, aus brenzligen Momenten herauszukommen, wie sie es schaffen, unentdeckt zu bleiben, und wie unterschiedlich ihre Sichten auf die Affäre werden. Nicht nur bei der Beschreibung der Sexszenen mit einem Vierzehnjährigen fühlt man sich angeekelt und fasziniert zugleich, sondern auch bei der ein oder anderen Sache, in der Celestes Rücksichtslosigkeit hervortritt. Manchmal ist man so wütend, dass man am liebsten ins Buch springen und Celeste an den Haaren in eine Zelle schleifen will, derart krank wird das, was sie durch ihren Egoismus auslöst. Dass die Autorin das schafft und einen gleichzeitig umso begeisterter von ihrem Debüt macht, ist ein echtes Kunststück und definitiv etwas, was nicht jeder hinbekommt.
Der einzige größere Kritikpunkt an Tampa ist allerdings Celestes laszive Art. Natürlich muss diese übertrieben sein, immerhin möchte sie die Fantasie in ihren jungen Schülern anregen, allerdings ist es an einigen Stellen doch zu viel. Das ständige Rumlaufen in High Heels und Rock, ergänzt von ihrer Angewohnheit, mit ihren Schülern auf das Thema Sex zu kommen, ist einfach zu exzessiv, um nicht aufzufallen. Insbesondere die Schüler müssten sich das Maul über sie zerreißen, die Waghalsigen unter ihren potentiellen Opfern sie mal blöd anmachen und vor allem die Mädchen sie doch mal auf ihr Verhalten ansprechen. Nur weil man gerade in der Phase zwischen Kindsein und Jugendlichem ist, macht das einen nicht taub und dumm gegenüber jemandem, der sich verhalten kann wie ein Stripper. Klar, würde sofort eines der Kinder die richtigen Schlüsse ziehen, wäre es unrealistisch, immerhin will die Autorin mit dem Buch zeigen, dass die gesamte Gesellschaft Frauen in Sachen Täterschaft ausklammert, aber ein gewisses Misstrauen wäre doch realistisch gewesen. So wirkt es sehr vereinfacht und als hätte die Autorin die Gelegenheiten, entdeckt zu werden, auf ein Minimum reduziert.




Mit ihrem Debüt hat Alissa Nutting ein ziemlich gutes Buch geschrieben, das aber sicherlich durch seine provokante Art nicht für jedermann ist. Das liegt zuvorderst an der Protagonistin, die keine Moral kennt und einfach nur ein Monster ist. Diesen Eindruck bestärkt sich mit jedem einzelnen Kapitel und auch mit jeder Veränderung, die Jack durch sie durchleben muss. Wenn man daher das Buch wegen der Hauptfigur nicht mag, ist es vollkommen verständlich, da man Celeste wirklich hasst. Sieht man sie allerdings im Gesamtkontext, so kann man das Buch nur als tollen Mischmasch aus Satire und Drama verstehen, das zeigen will, dass Weiblichkeit kein Alibi für Straftaten ist. Dieses heikle Thema wird durch sehr viel Provokation und Laszivität manchmal etwas zu sehr unterstrichen, und wird durch den Einfluss, den Täter und Opfer aufeinander haben, abgerundet. Ein sehr aufwühlender, genregrenzenüberschreitender Roman, der wohl allen gefallen dürfte, die sich für dieses Thema interessieren und mal etwas Anderes lesen wollen.





Ich gebe dem Buch:



♥ Herzchen



Extra:



Ein zweites Werk hat die junge Autorin auch bereits rausgebracht. In Made for Love geht es um Hazel, die gerade mit ihrem Vater in einen Trailerpark gezogen ist. Dort versteckt sie sich vor ihrem Ehemann, der sie zu dem Bestandteil eines Experiments in seinem Technikunternehmen machen möchte.
Ja ... Alissa Nutting scheint ein Händchen für außergewöhnliche Ideen zu haben ^.^
Hier erfahrt ihr mehr dazu :)


CU
Sana

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