Freitag, 18. August 2017

►Film-Review◄: Der Himmel wird warten

Grundwissen:



Titel◄: Der Himmel wird warten (original: Le ciel attendra)
Idee◄: Marie-Castille Mention-Schaar
Regisseur/-e◄: Marie-Castille Mention-Schaar
Drehbuch: Marie-Castille Mention-Schaar; Emilie Fréche
Produzent/-en◄: Marie-Castille Mention-Schaar; Phillipe Saal
Produktionsfirma◄: Indigo
Erschienen◄: März 2017 im Kino
Dauer◄: 105 Minuten (1 Stunde, 45 Minuten)
Altersfreigabe◄: FSK 12
Preis◄: 17, 99 € (DVD) [Quelle: amazon.de]
Genre◄: Drama; Tabuthema; Charakterstudie







Inhalt:



Ich bin mir sicher, dass Sie so bequem da in Ihrem Sessel sitzen und überzeugt davon sind zu wissen, was im Kopf Ihres Jungen vorgeht. Weil Sie ihm eingetrichtert haben, nicht mit Fremden zu sprechen. Und schon gar nicht zu einem Fremden ins Auto zu steigen. Und falls zufällig irgendein dubioser Typ ihn ansprechen und von ihm verlangen würde, sich viertausend Kilometer von hier in die Luft zu jagen ... dann würde er das seinem Papa und seiner Maman erzählen. - Berater


Nicht nur Männer gehören zur Terrororganisation des Islamischen Staates - denn Melanie, Sonia und Cathrines Tochter sind alle damit konfrontiert. Melanie gerät durch eine charmante Bekanntschaft auf Facebook in die Maschen der islamistischen Propaganda. Sonia wird mitten in der Nacht von Polizisten abgeholt und durch ihre mutmaßlichen Verbindungen zu Terroristen wieder zu resozialisieren versucht. Gleichzeitig versucht Catherine sich eine Reise nach Syrien zu finanzieren, um ihre Tochter davon abzuhalten, im Namen Allahs zu sterben. Unterschiedliche Stadien und Arten, wie man mit der gefährlichsten Terrormiliz der Gegenwart in Verbindung steht - aber sie alle verändern die drei Frauen von Grund auf.




Meine Meinung ...




zum Film:




Alleine die Idee für diesen Film ist fast schon revolutionär. Nicht nur, dass der IS ein wahnsinnig heikles Thema ist, auch denkt man als Durchschnittsbürger überhaupt nicht daran, dass es auch weibliche Mitglieder dieser Terrormiliz gibt. Wie kann das sein, fragt man sich da, wenn der Islamische Staat doch absolut frauenverachtend ist und einen Weltstaat errichten wollen, in dem die Sharia gilt? Der Himmel wird warten zeichnet drei recht überzeugende Porträts davon, wie man als Frau dennoch zu dieser extremistischen Einstellung gelangen kann, die den Zuschauer zugleich fesseln und anwidern.
Dabei wählen die Macher am Anfang einen recht verworrenen Erzählstil, da sich die verschiedenen Sichtweisen herauskristallisieren müssen. Nicht nur hat man Sonias, Melanies und Catherines Sicht, sondern auch Zwischensequenzen, in denen diverse Elternpaare sich von einigen Experten zu dem Thema beraten lassen. Das ist einerseits eine schöne Herausforderung für den Zuschauer, da er sich wirklich mit den einzelnen Personen auseinandersetzen muss, um sie differenzieren zu können. Andererseits kann es auch recht anstrengend wirken und weniger Lust auf die Geschichte der Mädchen, wie sie zu diesem Fanatismus gefunden haben, machen. Denn nach dieser Einleitungsphase gibt es zwar noch immer Sichtwechsel, jedoch sind diese viel passender platziert, nur um gegen Ende miteinander zu verschmelzen und den Zuschauer wieder zu fördern. Zwar schließt sich dort der Kreis sehr gut und zeigt, dass die Schicksale von einzelnen auf diesem Gebiet irgendwie miteinander verknüpft sind, andererseits sind die Stilbrüche nicht unbedingt nachzuvollziehen. 
Ebenso ist es zwar schön, dass man auch die Perspektive eines Elternteils miteinbezieht, der seine Tochter an die Terrororganisation verliert, allerdings hat man aus Catherines Sicht recht wenig gemacht. Ein, zwei berührende Szenen gibt es, ja, allerdings ist ihr Teil der dreiteiligen Geschichte sehr generell gehalten, sogar so generell, dass man sich ihren Namen nur schwer merken kann und den Namen ihres Kindes überhaupt nicht erfährt. Daher stellt sich die Frage, warum man überhaupt eine eigene Sicht für sie entwickelt statt einfach bei den anderen beiden Mädchen etwas genauer auf die Eltersituation einzugehen. Diese befinden sich zwar in einem anderen Stadium als Catherines Tochter, doch der panische und überforderte Umgang mit der Situation ähneln sich ziemlich. So hätte der Film vielleicht etwas mehr Zeit in die Zeichnung von Sonia und Michelle stecken können statt seine übrigen Minuten einer Figur zu verleihen, die das Mitleid des Zuschauers wegen ihrer Anonymität kaum anspricht.
Mit den anderen beiden Hauptfiguren fühlt man nämlich sehr gut mit, da man sie als plastisch wahrnimmt. Interessant daran ist, dass Sonias Perspektive nicht linear erzählt ist, was das Lösen von ihrem fanatischen Glauben darstellt, während man Michelles Werdegang chronologisch präsentiert. Während die eine aus dem IS finden muss, sieht sich die andere in ihre Ideologie hineingesogen. Diese rückwärtig verlaufenen Parallelen sind recht gut anzusehen, ebenso wie die beiden Mädchen ziemliche Kontraste zueinander bilden. Und obwohl Sonia durch ihre Gehirnwäsche sehr gehässig gegenüber ihrer Familie ist und sich mit der modernen Welt überfordert sieht, kann man doch nicht anders als traurig den Kopf darüber zu schütteln, wie viel Panik ihr das mutmaßlich nahende Gericht bereitet. Genauso enttäuscht ist man über Melanie, die sich von einem lebensfrohen quirligen Schulmädchen in einen ernsten und verachtenden Schatten ihrer Selbst verwandelt. Der Prozess bis dahin ist wirklich eindrucksvoll dargestellt, vor allem da man selbst einige der Videos zu sehen bekommt, die ihr von ihrem Anwerber geschickt werden - und zu seinem eigenen Erschrecken findet man manche von diesen Videos zumindest visuell recht ansprechend. Dabei wird auch auf kleine Details geachtet, beispielsweise indem Sonia direkt nach ihrer Festnahme immerzu in weiten Klamotten und mit Dutt herumläuft und je weiter sie resozialisiert wird, mal nur einen Pferdeschwanz trägt oder ein T-Shirt. So bringt man auch in Erfahrung, woraus genau dieser Glauben besteht, und zwar eher durch eine subtile Handlung der Figur als durch wörtliche Erklärungen.
Während man also Einzelfälle kennenlernt, bekommt man immer wieder kleine Ausschnitte, in denen Berater Eltern darüber informieren, wie der IS seine Rekruten anwirbt und die Verbreitung der Ideologie funktioniert. Man merkt, dass sich mit dem Thema wirklich auseinandergesetzt wurde und man weit über die generellen Informationen hinausgeht, was vor allem für diejenigen, die das Internet nutzen, sehr nützlich sein könnte. Nicht nur geht es um Propaganda-Videos, sondern auch wie man anhand einer Namensänderung einer Betroffenen erkennen kann, ob sie nur durch die Beziehung zu einem der Anwerber Teil des IS geworden ist oder ob sie von sich aus gehandelt hat. Stark ist auch, dass der Film die Anwerber kaum zeigt, sondern höchstens ihre Stimmen aus dem Off einspielt; so wird ersichtlich, dass man diese Terrormiliz in ihrer Gesamtheit gefährlich ist, nicht jedoch die einzelnen kleinen Rädchen, die sich in dem Gebilde drehen. So geht man auch nicht mit dem Gefühl aus dem Film heraus, einen Schuldigen für die modernste Bedrohung unserer Gesellschaft gefunden zu haben, sondern zu verstehen, dass nicht die Personen das Problem sind, sondern die Ideologie. Denn Personen kann man immer aus dem Weg schaffen, eine Überzeugung allerdings nicht, wie man anhand von Melanie und Sonia sehr gut darstellt.
Von daher schafft es der Film wirklich einen emotional zu ergreifen und einem begreiflich zu machen, was an dieser Ideologie so ergreifend ist. Es wirkt nicht überzogen oder übereilt, vor allem da man nicht einschätzen kann, in welcher Zeitspanne die Mädchen sich dieser Form des Extremismus hingeben. Durch die wechselnden Sichten gibt es nur ein, zwei Szenen, in denen das Verhalten der beiden etwas unlogisch erscheint, abgesehen davon allerdings erkennt man ihre Problematik durchaus. Dabei wird an beiden gezeigt, dass man nicht aus schlechten Familienverhältnissen kommen oder von einer südländischen Familie abstammen muss, um sich dem IS zu beugen, sondern dass Naivität und das Gefühl von fehlenden Perspektiven viel ausschlaggebender dafür sind. Gegen Ende zeigt sich auch, dass alle Einzelschicksale irgendwie miteinander verbunden sind und dies auch letztlich zeigt, was das Angebot dieser Terrormiliz noch so attraktiv macht: das Gefühl der Verbundenheit in einer Zeit, wo jeder irgendwie nebeneinanderher lebt. Auch wenn es anstrengt, die Bilder am Ende dieses Dramas gedanklich in eine richtige Reihenfolge zu bringen und die Schnitte richtig zu verstehen, so bilden sie doch ein überzeugendes Ende und lassen einen zufrieden, doch mit bitterem Nachgeschmack zurück.




Der Himmel wird warten ist ein sehr aktueller und interessanter Film, der einem sehr gute Einblicke in diesen unbekannten Teil des IS verschafft. Das Drama möchte in den Bereichen aufklären und fast schon dokumentarisch fiktive Beispiele heranziehen, um den ab und an erklärten Input plastisch zu unterstreichen. Dabei wirken alle drei Charaktere und deren Beziehungen zu der Außenwelt glaubhaft und erdrückend berührend, vor allem wenn man sich vor Augen führt, wie sie aus dieser Spirale scheinbar nicht wieder herauskommen können. Es wirkt eindringlich und nicht so als würde man diese Ideologie innerhalb des Films nicht ernstnehmen, sodass man auch als Zuschauer das Gefühl hat, ihre Anziehungskraft besser nachvollziehen zu können. Leider ist eine der drei Perspektiven sehr unausgeprägt und daher fast schon als überflüssig zu bezeichnen, und auch jeweils Anfang und Ende des Films sind zwar durchaus vom Gedanken dahinter zu verstehen, allerdings schwer zu entwirren. Alles in allem empfehlenswert, wenn man diese Thematik stark präsentiert sehen will und einen ein wenig Gehirnjogging nicht stört.




Ich gebe dem Film:



♥♥.♥ Herzchen



Extra:
Findet sonst noch jemand, dass Sonias Darstellerin Zoey Dutch zum Verwechseln ähnlich sieht? ^.^ 



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CU
Sana

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