Freitag, 23. Juni 2017

:)Rezension:): The Hate U Give

Grundwissen:


Titel: The Hate U Give (original: The Hate U Give)
Autor/-in: Angie Thomas
Erschienen: 24.07.2017 im cbt-Verlag (Hardcover)
Seitenanzahl: 512 Seiten
Preis: 17, 99 € (Hardcover); 13, 99 € (Kindle Edition) [Quelle: amazon.de]
Genre: Contemporary; (Familien)Drama; Young Adult; Coming of Age; Kultur




Inhalt:


I've seen it happen over and over again: a black person gets killed just for being black, and all hell breaks loose. I've tweeted RIP hashtags, reblogged pictures on Tumblr, and signed every petition out there. I always said that if I saw it happen to somebody, I would've the loudest voice, making sure the world knew what went down. Now I am that person, and I'm too afraid to speak. - Starr Carter (p. 38)


Seit sie denken kann, ist Starr Carter mehr als nur eine Person. Starr, das Mädchen, das bei ihrem Vater im Geschäft arbeitet, das im armen Garden Heights wohnt und regelmäßig Pistolenschüsse in der Nacht hört. Das Mädchen, das Prinz von Bel Air vergöttert und sich ein Beispiel an Malcolm X nimmt. Doch dann ist sie noch Starr, die eines der wenigen schwarzen Mädchen an einer Nobelschule ist, die bei Diskussionen über Rassismus den Mund hält und die sich Mühe gibt, sich gewählt auszudrücken. Bisher hat sie diese zwei Seiten von sich gut unter einen Hut bekommen. Doch als sie auf der Party von Big D Schüsse hört, haut sie mit ihrem langjährigen Kinderfreund Khalil in seinem Wagen ab. Doch kurz darauf werden sie von einem weißen Polizisten angehalten, scheinbar ohne jeden Grund. Und dann wird Starr Zeuge dessen, was sie bisher nur in Geschichtsbüchern oder im Fernsehen gesehen hat: der schwarze Junge wird erschossen, obwohl er nichts getan hat. Hin und hergerissen zwischen der Angst vor der Polizei und dem Wunsch nach Gerechtigkeit, muss sie sich entscheiden: will sie die Stimme sein, die alles verändert? Oder wird Khalil nur ein weiterer toter Schwarzer in den Nachrichten sein?





Meine Meinung ...




zum Cover:




Deutsches Cover/Originalcover: ♥♥♥♥
Englisches Cover: ♥♥♥♥























Die Aufmachungen zu dem Buch sind offensichtlich nichts Spektakuläres, aber alleine dadurch schon auffallend, dass ein schwarzes Mädchen abgebildet ist. Es wäre auch grauenvoll, wenn hier Whitewashing betrieben worden wäre. Wofür man allerdings das größte Lob geben muss, ist der Titel. Denn er richtet sich auf ein Leitmotiv des Buches, das darin besteht, das Sprichwort ,,Thug Life'' zu erklären, was einfach eine riesige Bedeutung für dieses Werk hat und auch etwas ist, was Starr im Laufe der Handlung erlernt.
Daher ein eher gewöhnliches und doch auffallendes Cover mit einem der besten Titel überhaupt!




zum Buch:




The Hate U Give ist so ziemlich das wichtigste und kontroverseste Buch 2017. Die Filmrechte dazu sind bereits gekauft, die Rezensionen nahezu durchgehend positiv, selbst Bestsellerautor John Green bezeichnet dieses Werk jetzt schon als einen Klassiker. Wie immer ist auf so einen Hype immer mit Skepsis zu reagieren, vor allem da es ja ein sehr wichtiges Thema behandelt und vielen Leuten damit auf die Füße treten könnte.
Tut es das denn? Nein. Zumindest größtenteils.
Denn wie die Debütautorin in ihrer Notiz am Ende des Buches formuliert hat, ist diese Geschichte ein Mittel für sie, ihre Gefühle für ein bestimmtes Thema auszudrücken. Sie lässt ihre Charaktere für sich selbst sprechen und lässt sie das erschaffen, was sie gerne erschaffen würde, und hat dadurch einen großen Teil zu der Black Lives Matter Bewegung beigetragen. Denn die Art und Weise, wie sie Starrs innere Zerrissenheit beschreibt, wie sie ihr unterschiedliches Verhalten in Gegenwart von schwarzen und weißen Menschen beschreibt, wie sie sich selbst reflektiert und sich teilweise für ihr Benehmen schämt - das alles ist unfassbar gut und verständlich erklärt. Sie verhält sich nicht immer richtig und braucht ihre Zeit, um zu lernen, wer sie wirklich ist, aber genau das macht auch diese Geschichte aus. Selbst wenn man nicht ihre Hautfarbe teilt oder ein Ausländer ist, ihre Gedanken gehen einem wirklich nahe und sorgen dafür, dass man diese Gesellschaftsschicht versteht. Die Autorin macht klar, dass der Rassismus und die Differenzen zwischen Schwarz und Weiß viel aktueller sind, als man zunächst annehmen könnte. Natürlich ist die Sklaverei abgeschafft worden, durch Martin Luther King, Malcolm X und Rosa Parks hat sich Vieles auf sozialer und politischer Ebene getan, aber im Kopf der Menschen nicht. Das hängt sie allerdings nicht an die große Glocke, sondern deutet teilweise sehr subtil und einfühlsam darauf hin. Alltagssituationen, die wahrscheinlich jedem bekannt sein dürften, und die zugleich so normal sind, dass wir sie nicht mehr als problematisch wahrnehmen. Egal ob man sich über einen Stereotyp lustig macht, Freunde unterschiedlicher ,,Rassen'' unbewusst voneinander trennt, oder seine Sprache in Gegenwart von anderen Personen verändert - es sind immer noch Dinge, die man nicht so akzeptieren, sondern hinterfragen sollte.
Das ist es auch, was einen dazu bringt, das Buch so schnell durchzulesen. Aus jeder Pore dringt Realität, bestehe sie aus einer süßen Szene zwischen Starr und ihren Eltern oder aus der knallharten Tatsache, dass die Polizei Starr eher zu Khalils Person befragt statt zu dem mutmaßlichen Täter. Man erlebt jegliche Emotionen in diesem Buch, da es einfach alles beinhaltet. Die Thematik ist sehr ernst und wird zu keinem Zeitpunkt verharmlost; im Gegenteil, man erlebt sie mal aus der ,,schwarzen'' Perspektive, in der man einen Bruder verloren hat wegen einer Sache, die schon Jahrzehnte aus der Gesellschaft entfernt sein sollte. Dadurch, dass man die Lebensgeschichte von Starrs Verwandten miterlebt und auch von anderen Leuten aus ihrer Nachbarschaft, lernt man, ihren Groll gegenüber Weißen nachzuvollziehen, auch wenn sie in ihrem Herzen wissen, dass eine Hautfarbe Leute nicht böse macht. Dass man sich aber trotzdem irgendwann auf dieses Weltbild einlässt, weil es einem leichter fällt, es undifferenziert zu betrachten und Feindbilder zu erschaffen. Man versteht Starrs Angst davor, sich als die Zeugin dieses Verbrechens bekanntzumachen, da es ihre Familie in Gefahr bringen könnte, lernt eine Welt kennen, die dominiert wird von Gewalt, Drogen und einer halb erblindeten Polizei irgendwo dazwischen, und versetzt sich einfach vollkommen in ihre Lage. 
Dadurch erlebt man aber nicht nur mit, wie die Familie diese schwere Bürde zu tragen hat, sondern auch, wie Blut für sie trotzdem dicker ist als Wasser und sie lernen weiterzuleben. Besonderes Talent zeigt die Autorin dabei, Szenen zwischen Starr und ihren Eltern zu schreiben, die einfach authentisch und voller Charme sind. Auch verliert diese Familie nie ihren Humor, sodass man häufig während des Lesens laut lachen muss und sich einen abgrinst über dieses Zugehörigkeitsgefühl der Familie. Sie haben ihre Probleme, sie haben ihre dunklen Flecken der Vergangenheit, aber vor allem haben sie eine große Zuneigung zueinander, die auf jeder Seite spürbar ist. Mit eine der plastischsten Familien, über die ich je gelesen habe. Und ich würde Starr zustimmen: ihre Eltern sind ein absolutes OTP!
Trotzdem wird die ,,weiße'' Sichtweise auf die Geschehnisse nicht vollkommen außer Acht gelassen und zum Glück nicht mieser dargestellt, als es ist. Die Medien und ihre Rolle bei der Verbreitung von Informationen über den Fall tragen einen großen Teil dazu bei, inwiefern Starrs Freunde Mitleid mit Khalil haben und ob sie an den Protesten gegen seinen Tod teilnehmen. Es gibt dabei diejenigen, die menschlich und mit Verstand reagieren, aber auch diejenigen, die sich von den Medien einschleusen lassen und nicht nachdenken. Es wird sogar angeschnitten, dass viele Weiße diese Zeit der Unterdrückung am liebsten vergessen und die Augen davor verschließen würden. Ebenso wie Starr treibt dies einen zur Weißglut, und ebenso wie sie hat man das Gefühl, immer weniger den Mund halten zu können. Man möchte etwas unternehmen. Man möchte sich informieren und stark machen für die Opfer solcher Verbrechen. Am Ende lässt Angie Thomas die Situation auch sehr eskalieren, und fast fängt man selbst Flamme dafür und möchte seine Wut auf das System demonstrieren. Dass sie so viele kleine und große Themen miteinander verknüpft hat, die Geschichte aber trotzdem nicht überladen wirkt, ist schon ein Kunststück.
Es ist also ein sehr emotionales und wichtiges Buch für unsere heutige Gesellschaft. Vielen dürfte es als Augenöffner fungieren und einen belehren wie unterhalten. Man verfolgt gespannt den Fall und drückt die Daumen, dass Starrs Überwindung, sich der Presse anzuvertrauen, etwas nützt. Dass sich mehr verändert als nur Starr, die traumatisiert ist und beginnt, diese Alltagsprobleme wahrzunehmen, sich von ihren weißen Freunden distanzieren zu wollen, weil sie das Gefühl hat sonst ihre Gemeinschaft zu verraten. Und das ist nicht mal rassistisch, sondern eine ganz natürliche Reaktion, wenn man bedenkt, wie schrecklich ihre Erfahrungen sind und sie ihr Leben lang mit einer großen Portion Respekt vor der Polizei erzogen wurde. Daher ist sie eine sympathische Protagonistin, die viel Raum für Identifikation gibt und auch als Vorbild agieren kann. Trotzdem ist sie menschlich und verhält sich so, wie man es von einem jungen, verwirrten Mädchen erwarten würde. Daher ein sehr plastischer Charakter, ebenso wie man es vom Rest auch behaupten kann. Egal wie klein die Rolle sein mag, Thomas schafft es, jedem von ihnen eine Persönlichkeit zu verleihen.
Doch so sehr sich die Autorin gegen Stereotypen stark macht und zeigt, dass die Differenzen zwischen Schwarz und Weiß alle nur in den Köpfen der Menschen aufgebaut sind - so ganz kommt sie um diese Klischees nicht herum. Sie hat zwar noch die Kurve gekriegt, es hauptsächlich zur Unterhaltung des Lesers zu benutzen, aber zusammengenommen ist es doch recht viel. Starr ist praktisch eine Sammlerin von schwarzer Popkultur, genauso wie die restlichen Mitglieder ihrer Familie, man kann in jedem Kapitel eine Referenz finden. Natürlich ist es nicht unrealistisch und auch löblich, wenn sich jemand mit seiner eigenen Geschichte auseinandersetzt, aber ein paar Referenzen und Lobeshymnen auf schwarze Rapper, Serien etc. weniger hätten auch nicht geschadet. Denn so wird Starr auf dieser Ebene nicht mehr als eine Ansammlung von Klischees. Dabei muss man etwas nicht mögen, nur weil es etwas mit der eigenen Gesellschaftsschicht zu tun hat oder einem eingetrichtert wird, dass es dazugehört. Man muss als Dunkelhäutiger genauso wenig Prinz von Bel Air sehen oder grammatikalisch inkorrekte Sätze bilden, wie es für Polen und Russen kein Muss ist Wodka zu trinken, oder für einen Deutschen sich jedes Spiel von FC Bayern anzusehen. Man muss nicht hinter bekannten Persönlichkeiten oder Bräuchen seiner Kultur stehen, um zu zeigen, dass man ihr angehört. Von daher ist diese Darstellung doch etwas problematisch. In vielen Situationen sorgt sie für viel Witz, klar, aber das ändert nichts daran, dass Angie Thomas es hier etwas übertrieben hat.
Und dann gibt es da noch eine einzige Szene, die überhaupt nicht zum Rest des Buches passt. Wie gesagt zeigt die Autorin, dass sie strikt gegen Rassismus ist, nicht nur gegen Schwarze, sondern auch Minderheiten allgemein. Doch was ist mit den Mehrheiten? Immer wieder lassen Starrs Freunde aus ihrer Nachbarschaft Sprüche darüber ab, was typisch für einen Weißen ist und was nicht. Starr hält sich dabei immer vornehm zurück und findet solche Aussagen auch nicht unbedingt gut. Ihr Freund allerdings ist weiß und wird von vielen ihrer Freunde dafür aufgezogen. Erschreckend darin ist, dass sie an einer Stelle mitzieht und ihn anhand von seinem Verhaltensweisen als ,,schwarz'' identifiziert. Natürlich ist das in einen humorvollen Dialog verpackt, aber letztlich ist es genau dieselbe kleine Alltagssache, über die sich Starr zuvor beschwert und die sie als rassistisch bezeichnet. Rassismus jedoch ist immer schlimm, auch wenn sie gegen Weiße gerichtet ist. Mit dieser Szene hat sich die Autorin also überhaupt keinen Gefallen getan.




Aufgrund dieser zwei kleinen Kritikpunkte verdient das Buch keine volle Bewertung. Denn wer über die Falschheit von Klischees schreiben und sich gegen Rassismus aussprechen will, der sollte beides davon nicht in seinem Werk benutzen, auch wenn es humorvoll gemeint ist oder zur Unterhaltung dienen soll. Letztlich ist das Buch aber trotzdem wahnsinnig wichtig und alleine durch sein Dasein unfassbar viel wert. Dabei erzählt die Autorin nicht nur die Geschichte eines Jungen, wie man sie schon zu häufig in Nachrichten verfolgt hat, auch erhebt sie damit ihre Stimme für Minderheiten und zeigt ihnen durch Starr, dass man etwas ausrichten kann, so klein die Chance auch sein mag. An die Hand kriegt man dabei auch ein sehr schön ausgearbeitetes Familiendrama, das wahnsinnig authentisch ist und aus gleichmäßig verteilten emotionalen und lustigen Szenen besteht. Es ist hart, es ist realistisch, es ist spannend, aber auch witzig, liebevoll und locker erzählt. Selbst mit diesen Widersprüchen ist es wegen seiner enormen Aktualität ein Must-Read - wenn auch kein ausnahmsloses.




Ich gebe dem Buch:


♥♥♥ Herzchen


Extra:



Ein weiteres gutes Buch, dass das Thema ,,Zwischen zwei Kulturen anschneidet'', ist Zähne zeigen von Zadie Smith. Meine Rezension dazu findet ihr hier :3


CU
Sana

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen