Freitag, 30. Juni 2017

♥#Ehefüralle: Eine Verstrickung von Widersprüchen♥

Es ist die Schlagzeile des heutigen Tages: #ehefüralle!


[Quelle: pixabay.de]

Heute Morgen, während die meisten von uns wohl auf Arbeit oder in der Schule waren, hat der Bundestag darüber abgestimmt, ob die Ehe für alle eingeführt werden soll. Eine Frage, die wie aus dem Nichts plötzlich zur Debatte stand, obwohl gefühlt jeden Tag ein terroristischer Anschlag in Europa verübt wird. Nach einer neunzigminütigen Diskussion war es dann schließlich soweit: Mit einer Mehrheit von 393 Stimmen haben die Abgeordneten für eine längst überfällige Erlaubnis einer gleichgeschlechtlichen Ehe gestimmt. So können Homosexuelle jetzt heiraten und gemeinsam Kinder adoptieren, genau dieselben Rechte in Anspruch nehmen können wie heterosexuelle Paare es schon seit Anbeginn der Zeit dürfen. Ein Sieg für die SPD, die Grünen, die Linken, die ganze LGBTQ-Bewegung, manch einer verbucht es sogar als einen historischen Tag Deutschlands.
Als derselbe Beschluss vor einigen Jahren in Irland stattfand, habe ich in den Jubel miteingestimmt. Als die USA sich ebenso dazu bekannten, dass Homosexuelle dasselbe Recht auf Liebe haben wie alle anderen auch, war ich wie alle anderen euphorisch und freute mich für all die Leute, die bei dieser Verkündung auf die Straße liefen und feierten. Ausnahmsweise waren die Hashtag-Flut und die regenbogenfarbenen Farbfilter ein Nebeneffekt, der nicht so nervig war wie bei sonstigen Angelegenheiten, die viel Gesprächsstoff auslösen.
Doch nun wo Deutschland mitzieht, bekommt das Ganze einen bitteren Nachgeschmack. 



Dass diese Entscheidung getroffen wurde - großartig, fortschrittlich, beachtlich. Doch die Umstände, unter denen sie zustande gekommen ist - einfach nur widerlich.
Es handelt sich um Politik, daher kann man wohl jeder Partei vorwerfen, dass sie ihre Programmpunkte dazu benutzt, um eine bestimmte Macht zu erlangen. Gute Wahlversprechen sorgen für Wähler, und Wähler bedeuten einen prozentualen Aufstieg in den Umfragen und im Bundestag. Je mehr Leute hinter einem stehen, desto mehr Chancen bekommt man, die eigenen Ziele durchzusetzen - Ziele, die auch diejenigen der Wähler sind. Also handeln Parteien grundlegend für das Volk; die eigene Machtgewinnung sollte dabei nur ein Mittel zum Zweck dessen sein, nicht die Wähler selbst.
Doch Angela Merkel hat diese Woche bewiesen, dass sie dieses simple Prinzip vollkommen für sich verkehrt hat. Dass sie für sich und ihre Partei handelt statt ihrer Wähler.
Wie kann das denn sein, wenn durch sie der Anstoß zu der ganzen Ehe-Debatte kam?

[Quelle: spiegel.de]
In ihrem Interview mit der Frauenzeitschrift ,,Brigitte'' meinte sie, sie wolle aus der Frage nach einer Ehe für alle Menschen eine ,,Gewissensfrage'' machen. Ihr plötzliches liberales Umdenken kommt allerdings nicht von nirgendwo. Die Frau, die schon seit Jahren darauf pocht, dass die Ehe ein Bund zwischen Mann und Frau ist, und trotzdem den Nerv hat zu sagen, dass homosexuelle und heterosexuelle Paare gleichgestellt seien, habe ein lesbisches Paar getroffen. Dieses Paar habe ihr vorgeschlagen, sie und ihre Kinder mal zu besuchen, damit sie sehen könnte, dass ihre sexuelle Orientierung den Kindern keinen Nachteil in ihrer Entfaltung bringen würde. Das, so meinte die derzeitige Kanzlerin, hätte sie dazu gebracht, ihre Meinung zu überdenken, vor allem in Hinsicht auf das Adoptionsrecht.
Irgendwoher musst die Kanzlerin natürlich eine Begründung nehmen, damit ihre wahren Absichten nicht total offensichtlich sind. Etwas merkwürdig ist es aber schon, dass ein Ereignis aus dem Jahre 2013 sie erst nach vier Jahren Bedenkzeit dazu gebracht hat, der Ehe für alle nicht mehr so skeptisch gegenüberzustehen. Vor allem da die Einladung des Besuchs von ihrer Seite her noch immer nicht angenommen wurde. Es gibt von der logischen Seite her also keinen Grund, warum die Kanzlerin ausgerechnet jetzt einen Wandel hätte durchlaufen sollen - keinen zumindest, der mit diesen zwei Frauen zusammenhinge.
Denn die Bundestagswahlen finden bald statt, und wie schon seit Jahren liegt die CDU/CSU vorne. Doch um keine Minderheitenregierung zu bilden, braucht sie einen Koalitionspartner, einen, der auf keinen Fall die AfD sein darf. Doch die anderen etablierten Parteien haben sich unisono gegen eine Koalition gestellt - solange der Koalitionspartner nicht auch für die Einführung einer Ehe für alle wäre. So lautet die Bedingung, die die konservative Partei natürlich erstmal den Wind aus den Segeln nimmt. Jede Partei, die für sie infrage käme, verbündet sich gegen sie, ausgerechnet in einer Zeit, die politisch gesehen sowieso schon instabil ist. Und ein Bündnis mit der Partei, die sich selbst von innen heraus zerstört und ohne die Flüchtlingskrise keine Daseinsberechtigung hätte, kommt ja garantiert nicht infrage. Was also bleibt einem da noch übrig?
Angela Merkel hat es erkannt: mit auf den Zug springen, um auf keinen Fall in Gefahr zu geraten, alleine dazustehen. Obwohl es vollkommen willkürlich wirkt; obwohl die Begründung bei genauerem Hinsehen nur eine verjährte Anekdote ist; obwohl es Schwachsinn ist, für eine solche Fragestellung den Fraktionszwang, der in Deutschland laut Artikel 38 Abs. 1 GG sowieso nicht wirklich gilt, aufzulösen. Und obwohl sie bei der heutigen Frage im Bundestag dagegen gestimmt hat.

[Quelle: focus.de]

Betrachtet man all das, so kann man die Kritik des SPD-Politikers Kahrs in den Worten ,,Vielen Dank für nichts, Frau Merkel'' sehr gut nachvollziehen. Schließlich hat sich die Kanzlerin in all den Jahren nie stark für Schwule und Lesben gemacht, sondern sich höchstens in widersprüchlichen Aussagen verstrickt, was diese angeht, um nicht als homophob dazustehen. Aussagen wie dass es keine Diskriminierung von Homosexuellen gäbe, obwohl für diese bisher nur eine eingetragene Lebenspartnerschaft möglich war, untermauern dies nur. Doch genau jetzt, wo man Hoffnung schöpft, dass sich etwas im Kopf dieser Frau getan haben könnte, sie endlich verstanden hat, dass man eben nicht gleichgestellt ist, wenn das eine ,,Ehe'' heißt und das andere ,,eingetragene Lebenspartnerschaft'', begegnet sie der Öffentlichkeit mit schlecht verborgenem politischem Kalkül. Benutzt die Hoffnung vieler, die sich in ihrer sexuellen Orientierung untergraben fühlen, nur für ihre eigenen machtpolitischen Zwecke. Damit sich die anderen großen Parteien nicht von ihr abwenden und sie die Möglichkeit haben wird, noch immer die entscheidenen Finger in der deutschen Politik zu haben.
Dazu eine Position in einem Interview anzudeuten, die sie selbst nicht vertritt, ist jedoch vollkommen geschmacklos. Das wäre genauso, als hätte man in einer Fabrik zum Streik ausgerufen, nur um der erste zu sein, der sofort wieder anfängt zu arbeiten. Als hätte man eine Gruppe zu einer Revolute ausgerufen, nur um sich unauffällig in den hinteren Reihen zu verstecken und keinen Finger zu rühren. Wie kann man in so einem Fall die Kanzlerin auch nur im Ansatz ernstnehmen, wenn sie sich derart feige aus der Affäre zieht, sich nicht traut, das, was sie begonnen hat, zuendezuführen? Indem sie ihre Stimme in dieser Frage nicht für Schwule und Lesben erhoben hat, hat sie ihre Maske fallen lassen und gezeigt, dass ihr die Rechte dieser Menschen egal sind und nur ein Mittel zum Zweck sind.

Doch diese Abstimmung ist nicht nur unter diesem Aspekt etwas traurig, sondern auch in ihrem formellen Rahmen. Jeder Fraktionsabgeordnete sollte nach seinem eigenen Gewissen bei dieser Frage seine Meinung kundtun. Wo wurde diese Regelung sonst noch aufgehoben, in welchen Fällen sah man die Moral als die führende Instanz einer politischen Frage?
Sterbehilfe. 
Abtreibung. 
Präimplantationsdiagnostik. 
Fragestellungen, bei denen es um Leben und Tod geht, die essenziell für die bloße Existenz eines (werdenen) Menschen sind. 
Und mit solchen Gewissensfragen soll die gleichgeschlechtliche Ehe gleichgestellt werden? Ist die Moral bei einer Ehe zwischen zwei Männern oder zwei Frauen, die sich lieben, genauso wichtig wie bei der Frage, ob man sein eigenes Leben wegen zu großen Schmerzen beenden soll? Spielt das Gewissen bei einem ,,Ich liebe dich'' eine genauso große Rolle wie bei einem ,,Ich möchte mein ungeborenes Kind abtreiben''?
Nein. Liebe ist keine Gewissensfrage, Liebe ist ein Menschenrecht. Und soweit Artikel 1 und 2 GG jedem Bürger dieses Staates mitteilt, ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Bewahrung der eigenen Würde und Rechte garantiert. Alleine das hätte schon seit Jahren die Frage nach der Ehe für alle lösen sollen. Dazu braucht man also keine Entscheidung des Gewissens, sondern ein bloßes Öffnen seiner Augen gegenüber den eigenen Gesetzen. Auch wenn denjenigen, die dieses Grundgesetz verfasst haben, wohl nicht unbedingt darunter vorschwebte, dass auch Homosexuelle und Transgender darin inbegriffen sind, schlicht und ergreifend, da sie zuvor nicht so offen leben konnten wie heutzutage, ist vollkommen egal. Das Grundgesetz soll zeitlos sein, etwas, das immer gelten und Menschen immer ihre Würde und demokratischen Werte zurechnen soll. 
Daher ist auch die Meinung eines ehemaligen Verfassungsrichters zumindest meiner Meinung nach auch Humbug. Artikel 6 GG hat wohl zum Zeitpunkt seiner Entstehung ,,die Anderen'' nicht wahrgenommen, das mag stimmen, doch nirgends steht explizit drin, dass die Ehe ein Bund zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts ist. Im Gegenteil, es wird nur von ,,Ehe'' und ,,Familie'' gesprochen. Wer sich nun also anschickt, aus diesem Teil des Grundgesetzes hinauszuinterpretieren, dass einer Familie eine Ehe vorausgehen muss und die ,,Homo-Ehe'' daher verfassungswidrig sei, weil Gleichgeschlechtliche keine Kinder zeugen können, der versucht sich nur verzweifelt an der Wortklauberei. Ein letzter, viel zu zerbrechlicher Strohhalm, der doch selbst die Konservativsten unter den Wählern misstrauisch stimmen müsste. Immerhin wird eine Familie auch als solche bezeichnet, wenn sie Kinder adoptiert hat statt selbst welche hervorzubringen, was das zuvor erwähnte Argument sofort entkräftigen würde. Nur die ,,Pflege und Erziehung der Kinder'' sind ,,das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht'' - und dem könnte man selbst dann nachgehen, wenn man geschlechtsneutral wäre.
Wie traurig ist es, dass an einem so wichtigen Tag trotzdem noch Menschen versuchen, sich dem Ganzen oppositionell entgegenzustellen. Dazu ist die heutige Gesellschaft zu offen, zu weit fortgeschritten, und das trotz dem großen Rechtsruck und den täglichen Hass-Kommentaren, die sich am häufigsten in sozialen Netzwerken finden lassen.

[Quelle:pixabay.de]

Das hier soll auch keine Hasspredigt auf diesen Verfassungsrichter im Ruhestand sein, und auch nicht auf das Kanzlerinnenfähnchen im Wind. Eher soll es der Ausdruck eines Menschen sein, der nicht nachvollziehen kann, wie man ein so wichtiges Thema instrumentalisieren kann. Wie man eine Veränderung im eigenen Gemüt heucheln kann, nur um nicht auf der Strecke zu bleiben. 
Natürlich hat die heutige Wahl gezeigt, dass die Mehrheit der im Parlament Sitzenden sich Merkel nicht unterordnet und die Gelegenheit zur Wahl sofort am Schopf gepackt haben. Sie wurde während der Debatte teilweise sogar angegangen, über 70 Abgeordnete der Unionsfraktion haben quasi gegen das Programm der CDU/CSU gestimmt und so den aufgelösten Fraktionszwang voll ausgenutzt. Es ist möglich, seine Ziele durchzusetzen, selbst wenn man nicht die stärkste Partei ist. Das hat die heutige Wahl aus demokratischer Sicht gezeigt und damit auch neue Möglichkeiten für neue Koalitionen eröffnet. Denn ob jemand nach Merkels Fauxpas noch ein Bündnis mit ihr eingehen will, ist ziemlich fraglich - wenn sogar die Mitglieder der eigenen Partei ganz schön stinkig sein müssten.
Über diese Wandlung im demokratischen Gefüge kann man sich nur freuen, genauso natürlich wie für die vielen Menschen, denen es nun vergönnt sein wird, ihren Partner so lieben zu dürfen wie ein Heterosexueller seinen Partner auch. Man ist nun wirklich gleichgestellt, hat dieselben Möglichkeiten, muss sich nicht mehr diskriminiert fühlen. Kinder können neue Eltern finden, die genauso kompetent und liebevoll mit ihnen umgehen werden wie auch heterosexuelle Paare. Einer Zukunft wird Einhalt geboten, in der Vielfalt Realität und nicht nur eine bunte Flagge oder ein Hashtag ist.
All das ist ein großer Sieg und mal ein Lichtblick nach all dem Terror und den Toten und den Trumptastischen Entscheidungen, die es die letzten Monate vom Himmel geregnet hat. Viele werden auch froh über diese Entscheidung sein trotz all der Probleme dahinter, werden froh sein, einfach nur sie selbst sein zu können oder andere dabei zu beobachten, wie sie sich selbst verwirklichen können.
Doch für mich hätte das vor einem menschlichen Hintergrund stattfinden müssen, und keinem, der von sich behauptet, moralisch zu sein, obwohl er genau das nicht ist.


CU
Sana

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