Mittwoch, 17. Mai 2017

►Series-Review◄: Tote Mädchen lügen nicht (S.1)

Grundwissen:


Titel◄: Tote Mädchen lügen nicht (original: 13 Reasons Why)
Idee◄: Jay Asher; Bryan Yorkey
Produzent/-en◄: Diana Son; Tom McCarthy; Joy Gorman Wettels; Steve Golin; Michael Sugar; Selena Gomez; Mandy Teefey; Kristel Laiblin; Joseph Incaprera
Produktionsfirma◄: Anonymous Content; Paramount Television; July Moon Productions; Kicked to the Curb Productions
Erschienen◄: 31. 03. 2017 auf Netflix
Dauer◄: 48 bis 58 Minuten (13 Folgen)
Altersfreigabe◄: FSK 12
Genre◄: (Jugend)Drama; Mystery
Preis◄: -







Inhalt:


''Maybe there aren't any good kids.'' - Clay Jensen [1.06]




Als Clay nach Hause kommt, erwartet ihn eine Schuhschachtel mit sechs Kassetten von einem anonymen Absender. Was er auf ihnen hört, erschreckt ihn, denn es ist die Stimme von Hannah Baker. Hannah Baker, das neue Mädchen in der Stadt. Hannah Baker, mit der er zur Schule ging, im Kino arbeitete und in die er sich verliebte. Hannah Baker, die erst vor wenigen Wochen Suizid begangen hat. Diese Kassetten sind ihr Abschiedsbrief mit dreizehn Gründen, die ihre Tat erklären. Die Personen, die die Kasetten erhalten, sind mit diesen Gründen verbunden und sollen sie je an den nächsten Schuldigen weiterschicken Passiert das nicht, so wird ein zweites Set Kassetten an die Öffentlichkeit gelangen und Hannahs Peiniger entlarven - doch das will diese Gruppe von Leuten unbedingt verhindern, vor allem als klar wird, dass Clay nicht schweigen will wie alle anderen ...





Meine Meinung ...




zur Staffel:




Über eine halbe Dekade haben die Fans der Buchvorlage darauf gewartet, dass sie dieses Meisterwerk endlich verfilmt sehen können. Fast augenblicklich wurde versprochen, einen Film zu produzieren, mit Selena Gomez in der Hauptrolle. Doch jahrelang tauchte nicht ein einziger Trailer, nicht mal ein Teaser zu diesem Projekt auf. Als es schließlich hieß, dass Netflix sich der Verfilmung annehmen und daraus eine Serie machen wollte, reagierten viele mit Skepsis. Ein Buch, das nur in einer einzelnen Nacht spielt - wie kann man das in eine Serie mit 13 fast einstündigen Episoden umsetzen? Kann das überhaupt noch gutgehen?
Eher weniger, denn so gut die Message hinter dieser Geschichte auch ist, so gut die Schauspieler auch sind und so emotional das gesamte Thema von Tote Mädchen lügen nicht ist, die Schwächen dieser Serie kann man als fatal bezeichnen.
Das, was nämlich nicht aus dem Buch übernommen, sondern dazuerfunden wurde, hat den Plot in unendliche Weiten gestreckt. Alleine jeder Seite der Kassette eine Stunde zu geben scheint wie der Wahnsinn, doch wenn diese Stunde größtenteils in einigen Folgen nur mit Dialogen gefüllt sind, die sich nur um Kreis drehen, dann wird es erst recht anstrengend. Die Figuren bewegen sich nicht vom Fleck, ständig dreht es sich nur um dasselbe, ohne jemals irgendeine Entwicklung voranzutreiben. Es ist fast so, als hätten die Produzenten lange vor dem Schreiben des Skripts entschieden, wie lang die Folgen sein sollen, und hätten dann Schwierigkeiten gehabt, auch nur eine halbe Stunde mit Inhalt zu füllen. Wem das schon zu anstrengend sind, der halte sich fest, denn wie gesagt basiert die Handlung der Folgen teilweise auf aufgenommenen Kassetten. Natürlich kann Hannah nicht stundenlang über nur eine zentrale Person reden; wenn man es realistisch überschlagen würde, hätte sie maximal vier oder fünf Stunden Erzählmaterial gehabt. Wenn man also Post bekommt von einer Toten, die behauptet, man trage eine Mitschuld an ihrem Selbstmord, wer würde sich diese vier bis fünf Stunden nicht sofort anhören um zu erfahren, was geschehen ist?
Wenn irgendjemand sich damit über eine Woche Zeit lassen würde und statt einfach nur zuzuhören, zu den anderen auf den Kassetten erwähnten Leuten zu gehen und zu fragen, was für eine Rolle man spielt - Glückwunsch, dann verhält sich dieser Jemand genauso unlogisch und idiotisch wie Hauptfigur Clay! Die Macher der Serie hätten wirklich nicht noch mehr durchblicken lassen können, dass ihr Konzept von 13 Episoden nicht durchdacht ist. Das sorgt nicht nur dafür, dass sich die Folgen anfangs so sehr ziehen wie Kaugummi, sondern auch dafür, dass sich der Zuschauer langweilt und teilweise sogar abdriftet, ganz zu schweigen davon, dass er sich über Clay aufregt. Nein, dieses Zeitmanagement hätte wesentlich besser gemacht werden können, ebenso wie wichtigere Konversationen, symbolträchtigere Szenen hätten eingeführt werden können, damit sich die fünfzig Minuten eben nicht so anfühlen wie eine ganze Stunde.
Dass Hannahs Storyline an einigen Stellen in den Hintergrund rückt und die Handlung in der Gegenwart eine größere Rolle einnimmt, macht es noch schwerer anzusehen. Denn das, was ihr zugestoßen ist, ist wesentlich interessanter und auch nachvollziehbarer als das, was sie zurückgelassen hat. Das liegt nicht mal daran, dass man die Thematik des Umgangs mit Selbstmord verhunzt hätte, denn das hat man nicht, aber je nachdem, welcher Regisseur welche Folge produziert hat, kommen so große Charakterbrüche vor, dass man den Handlungen der Figuren nicht mehr folgen kann. Manche Einstellungen, Handlungsweisen sind einfach nur da, ohne sich zu entwickeln oder vorher angedeutet zu werden. Insbesondere bei Clay fällt das negativ auf, denn während er zu Anfang ein zurückhaltender Nerd ist, wird er mit jeder Kassette aggressiver und verhält sich überhaupt nicht wie er selbst. Beispiele zu nennen wäre zu spoilerlastig, aber einige von den Dingen, die er tut, sind so moralisch verwerflich, dass man nur angewidert auf den Bildschirm starren kann. Somit passt dieses Verhalten überhaupt nicht zu ihm, ist komplett out of character und wird auch nicht konsequent durchgezogen. Zusätzlich dazu machen sich die Produzenten eine ganze Weile einen Spaß daraus, ihn gegen alle möglichen Gegenstände laufen zu lassen. Warum genau muss man aus ihm einen Trottel machen? Lustig ist diese Inszenierung nicht, und bietet wegen seines ambivalenten Charakters keine Möglichkeiten zur Identifikation. Dabei ist Clay genau derjenige, der irgendwann den moralischen Zeigefinger hebt und das ausspricht, was der Zuschauer sich denken und die Serie vermitteln sollte. Wenn er jedoch selbst teilweise wirklich verwerfliche Dinge tut und sich dessen voll und ganz bewusst ist ... wie glaubhaft ist das Ganze dann noch?
Zusätzlich dazu wird durch den Schnitt einiger Szenen aus der Vergangenheit in die Gegenwart der Eindruck erweckt, als leide Clay unter Halluzinationen oder Auditionen durch diese Kassetten. Dem Zuschauer ist natürlich klar, dass die Schnitte, wie es größtenteils in der Serie ist, sehr flüssig gesetzt werden sollen, und das deswegen als Hintertürchen genutzt wurde. Allerdings muss man sich bewusst machen, dass das Anzeichen für eine psychische Krankheit sind, und Clay ansonsten einfach keine Anzeichen dafür hat, die Aussicht dazu noch nicht mal angesprochen wird. Und eine Serie, die aufklärerisch in Sachen Selbstmord sein möchte, hätte sich ruhig auch zutrauen können, Paranoia und Schuldgefühle passend zu inszenieren.
Wenn man von diesen großen Problemen mal absieht, ist die Serie jedoch durchaus sehenswert. Die Schauspieler leisten allesamt einen tollen Job, insbesondere die Darstellerin von Hannah selbst. Deswegen wirkt ihr Charakter auch glaubhaft und ihre Geschichte auf harte Weise ehrlich. Man hört ihr gebannt zu, wie sie mehr und mehr von sich und ihren Problemen preisgibt, und versteht den Prozess dahinter. Wie eine Schneelawine bauen die Gründe jeweils aufeinander auf und türmen sich zu etwas, was für Hannah unaufhaltsam und für alle anderen unsichtbar ist. Dabei werden auch viele ernste Themen angeschnitten, beispielsweise Missbrauch, die die Disclaimer vor einzelnen Folgen rechtfertigen. Daher sind Hannahs Emotionen und warum sie ihren Weg wählt, sehr nachvollziehbar gerade in diesem Summieren von einem Zwischenfall zum nächsten, jedoch wegen all den sehr graphischen Darstellungen ihrer Leiden alles andere selbstmordglorifizierendd. Darin besteht ja die Kontroverse, die Tote Mädchen lügen nicht erschaffen hat und die von einigen Psychologen mit Argusaugen betrachtet wird. Allerdings wird damit - zumindest meiner Ansicht nach - den jungen Zuschauern zu wenig im Umgang mit dieser Thematik zugetraut. Nur weil man eine dichte Atmosphäre aufbauen kann und Einiges sehr explizit, Anderes wiederum sehr subtil zeigt, muss es nicht heißen, dass Teenager nicht in der Lage dazu sind, zu verstehen, was diese Serie ausdrücken will, nämlich dass Selbstmord keine Lösung ist. Selbst wenn Hannah allein nicht zu diesem Entschluss kommt - muss man deswegen automatisch annehmen, der Zuschauer könne dies ebenfalls nicht? Traut man ihm nicht zu, dass er selbst weiß, dass Selbstmord kein Ausweg, keine Rache an denen ist, die sich mitschuldig machen?
Wenn man sich ansieht, was in der Gegenwartshandlung geschieht, kann man gar nicht mehr zu dieser Schlussfolgerung kommen. Denn in der Welt, die Hannah zurückgelassen hat, ist buchstäblich die Hölle los. Nicht nur leiden diejenigen, denen Hannah eine Mitschuld an ihrer Tat gibt, auch sieht man die Auswirkungen bei denjenigen, die ihr nahestanden. Vor allem ihre Eltern tun einem sehr Leid. Zwar werden sie teilweise auf ihren Verlust reduziert, allerdings ist das nach nur so wenigen Wochen keine große Überraschung, dass sie kaum etwas anderes haben, was sie beschäftigt. All das geheuchelte und aufrichtige Mitleid wie auch Hannahs Schule, die aus heiterem Himmel Prävention im Hinblick auf Suizidgedanken leisten will, werden sehr gut dargestellt und vor allem von Clay und Hannahs Eltern kritisch hinterfragt. Die Wichtigkeit einer Fassade, die Unterstützung und Verständnis bietet, muss unbedingt aufrechterhalten werden, insbesondere aus Gründen der Publicity und Social Media. Dass Thirteen Reasons Why diese kalte Kalkulation anprangert und mit seinem Handlungsverlauf zeigt, dass die Menschen meistens erst dann hinsehen, wenn es bereits zu spät ist, macht sie gesellschaftskritisch und definitiv lobenswert.
Das zeigt sie vor allem bei den Figuren, denen Hannah ihre Kassetten widmet. Dadurch, dass die erste Staffel mehrere Wochen umspannt statt wie das Buch nur eine Nacht zu umfassen, nimmt sie sich etwas mehr Zeit für vermeintlichen Schuldigen. Man lernt dadurch bei einigen ihren Hintergrund genauer kennen und nimmt sie dadurch auch als Menschen wahr statt als Bösewichte, die an den Pranger gestellt werden. Denn genauso wie die Schule auf ihren Ruf achtet und alle Anzeichen von Mobbing und Intoleranz vertuschen will, genauso wichtig ist ihnen ihre Zukunft und das, was sie nach außen hin verkörpern. Daher kauft man ihnen die Anspannung wegen Hannahs Geschichte durchaus ab und findet nach und nach den komplottartigen Plot um die Personen spannend. Trotzdem haben es die Macher nicht so ganz hingekriegt, dass deren Emotionen dem Zuschauer vermittelt werden. Erst ab der Mitte hat man das Gefühl, wirklich etwas mit den Figuren außerhalb ihrer Rolle auf Hannahs Kassette etwas anfangen zu können, da dort klarwird, dass sie sich zwar grausam, aber auch menschlich verhalten und verhalten haben. Außerdem sind einige Entwicklungen, die sie durchmachen, ziemlich überraschend und an einigen Stellen - leider nicht an allen - ergreifend. Wie bereits erwähnt, die Szenen, die diese schweren Themen vom Selbstmord abgesehen anschneiden sind diejenigen, die einen wirklich vom Hocker hauen.
Generell merkt man eine Steigerung in den letzten Folgen der Staffel. Es wird dramatischer und der Plot nimmt endlich an Geschwindigkeit zu, weil Clay aktiver und weniger dumm handelt. Die Folgen fühlen sich trotz längerer Laufzeiten wesentlich kurzweiliger an, obwohl die Folgen von Mal zu Mal ernster und düsterer werden. Manch einer wird sich ein paar Tränen nicht verdrücken können, und das obwohl man von Anfang an weiß, wie die Geschichte für Hannah ausgeht. Doch auch für das Schicksal der noch lebenden Charaktere entwickelt man ein großes Interesse und wird mit ein paar Wendungen konfrontiert, die einen doch schockiert zurücklassen. Das Ende ist dabei tragisch wie auch hoffnungsvoll und hätte eigentlich einen runden Abschluss gebildet - daher fraglich, ob eine zweite Staffel so notwendig wäre, da Hannahs Geschichte ja zuende erzählt ist.
Ein weiterer kleiner Bonuspunkt wäre außerdem das Maß an Diversität innerhalb von Tote Mädchen lügen nicht. Selten trifft man auf eine solche Fülle an sexuell anders orientierten Figuren oder Charakteren mit verschiedenen Hautfarben, und dass die Serie daraus nicht mal eine große Sache macht, macht dies zu einer diversity-positiven Show. Das ist zwar nur eine Nebensächlichkeit, allerdings in solcher Hinsicht erwähnenswert, dass es nie erzwungen wirkt oder so, als wollten sich die Macher damit brüsten, sondern einfach zeigen, dass Vielfalt vollkommen normal ist. Daumen hoch also dafür!




Leider ist die Verfilmung von Thirteen Reasons Why ziemlich durchwachsen. Die Geschichte Hannahs und die Flashbacks, die dank ihrer Kassetten inszeniert werden, sind meistens wirklich gut und bewegen den Zuschauer sehr, ebenso wie Hannahs manchmal doch sehr philosophischen Monologe. Es gibt sehr schöne und emotionale Szenen, die sich mit schwierigen Themen ehrlich und schonungslos auseinandersetzen, sogar so schonungslos, dass die Serie Kontroversen hervorruft. Mit ihrer Kritik an der Gesellschaft und daran, wie wir versuchen, unsere perfekte Fassade aufrechtzuerhalten, regt sie uns zum Nachdenken an, genauso wie Hannah ihre Auserwählten zum Nachdenken bringt. Mit der Handlung in der Gegenwart selbst kann man für lange Zeit leider nicht so viel anfangen, erst nach und nach werden die Figuren und das, was geschieht, eindringlich genug, dass man sich wirklich dafür interessiert. Dies ist vor allem dem schrecklichen Pacing geschuldet, das sich erst gegen Ende der Staffel bessert. Außerdem scheint man am Anfang nicht genau zu wissen, wohin man mit den Figuren und der Handlung will, da einige Dinge - vor allem seitens Clay - Schlag auf Schlag geschehen und deren Sinn dahinter nicht einleuchtet. Etwas, was wirklich groß hätte werden können, wenn man bei der ursprünglichen Idee eines Films geblieben wäre. So ist sie leider nur bedingt zu empfehlen.




Ich gebe der Staffel:


♥♥ Herzchen



Extra:


In diesem Video verlieren die Produzenten und Schauspieler von Tote Mädchen lügen nicht einige Worte zu der Message und dem Aufbau der Serie. Viel Spaß beim Zusehen :)



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CU
Sana

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