Mittwoch, 3. Juni 2015

:)Rezension:): Zähne zeigen

Grundwissen:


Titel: Zähne zeigen (original: White Teeth)
Autor/-in: Zadie Smith
Erschienen: 23. 09. 2010 im KiWi-Taschenbuchverlag
Seitenanzahl: 635 Seiten
Preis: 12, 99 € (Taschenbuch)
Genre: Adult; Contemporary; Drama




Inhalt:


These days, it feels to me like you make a devil's pact when you walk into this country. You hand over your passport at the check-in, you get stamped, you want to make a little money, get yourself started ... but you mean to go back! Who would want to stay? Cold, wet, miserable; terrible food, dreadful newspapers - who would want to stay? In a place where you are never welcomed, only tolerated. Just tolerated. Like you are an animal finally house-trained. - Samad Iqbal (S. 407)

In einem gottverlassenen Nest irgendwo in Bulgarien verpennen die beiden britischen Soldaten Archie Jones und Samad lqbal das Ende des 2. Weltkrieges. Als die Russen auftauchen, versuchen sie hastig doch noch eine Tat zu vollbringen, die sie später vor ihren Enkeln als Helden erscheinen lassen könnte. Beim Pokern ,,gewinnen" sie einen jungen Nazi - und Archie soll ihn erschießen ...
Dreißig Jahre später treffen sich die beiden Freunde in London wieder. Beide sind verheiratet mit einer wesentlich jüngeren Frau: Samad mit der schlagkräftigen, kugeligen Alsana und Archie mit Clara, einer langbeinigen jamaikanischen Schönheit, der leider die Vorderzähne fehlen. Samad, ein Omar-Sharif-Typ, ist mittlerweile ein gedemütigter Kellner in einem Curry House und Archie, ein schlichter, aber anständiger Mensch, der sein Geld mit Papierfalten verdient und in fast allem versagt hat ... 
Doch nicht der Krieg, die Existenzgründung, die harte Aufgabe, mit einer jüngeren Frau verheiratet zu sein, sind die wirklich schweren Prüfungen, die ihnen das Leben stellt. In den wilden Auseinandersetzungen mit ihren heranwachsenden Kindern kulminieren die Probleme ihres Lebens: Herkunft, Religion, Hautfarbe, Kultur, Geschichte, die Frage nach Gewissen und Gerechtigkeit und was man anfängt mit der Gegenwart und was mit Vergangenheit und Zukunft aufhört.



*Quelle: amazon.de



Meine Meinung ...




zum Cover:


Amerikanisches/Britisches Cover: ♥♥♥
Deutsches Cover: ♥♥























Leider wurde dieser Roman mit einem alles andere als einer tollen Aufmachung versehen. Während die amerikanische bzw. britische Ausgabe bereits nicht sonderlich auffallend ist und sich einzig und allein durch die goldenen Muster und sanften Zeichnungen von anderen hervorhebt, ist das deutsche Cover äußerst einfallslos gestaltet und lässt diesen Roman nahezu wie ein Sachbuch erscheinen und lässt auch keinen Aufschluss darüber zu, welche Art von Buch nun hier vorliegt; auch das Thema des Romans ist nicht zu erkennen, während man bei dem zweiten Cover durchaus auf die Idee kommen könnte, dass dieses Buch auch Orientalisches behandelt, weil die Zeichnungen und Muster daran erinnern. Dennoch finde ich die Farben nicht sonderlich passend; zwar fällt die Aufmachung als solche wegen den knalligen Tönen auf, jedoch passen diese alles andere als gut zur Atmosphäre der Geschichte.
Den Titel finde ich bei beiden Covern jedoch ganz gut gewählt, auch wenn sie trotz ihrer Gemeinsamkeit der Zähne, die in diesem Buch in gewisser Weise für die Unschuld und das stehen, was alle Menschen trotz Hautfarbe oder Heimatland gemeinsam haben, unterschiedliche Schwerpunkte legen. Während der englische Titel neutraler ist und sich eben auf diese Parallele zwischen allen Menschen beschränkt, lässt der deutsche Titel eine gewisse Feindseligkeit mitklingen, die vor allem Samad an den Tag legt; somit hätte der deutsche Titel eine etwas größere Anspielung auf den in der Geschichte auftretenden Rassismus und Angst vor Identitätsverlust.
Insgesamt wird also keines der Cover dem Inhalt dieses Buches gerecht, auch wenn das Buch mit dem englischen wahrscheinlich eher als optische Verzierung fürs Bücherregal geeignet wäre als das aschgraue.




zum Buch:




Auf gute Contemporary-Romane trifft man in letzter Zeit äußerst selten, vor allem wenn man sich auf die Suche nach solchen begibt, die sich nicht einzig allein um eine Liebe unter und zwischen Teenagern dreht, sondern sich mit durchaus ernsteren Themen befasst und die Leichtigkeit eines Sommerbuches aus diesem Grund mal durch die Schwere eines gesellschaftskritischen Romans ersetzt. Sollte man auf der Suche nach etwas sein, was schwer zu verdauen ist, wie aus dem Leben gegriffen erscheint und das sich mit gebrochenen und gescheiterten Persönlichkeiten auseinandersetzt, so sollte man definitiv zu Zadie Smiths Buch greifen.
Selten habe ich ein Buch gelesen, welches sich um eine so lange Zeit -nahezu zwanzig Jahre - erstreckt und es dennoch schafft, so interessant zu bleiben und süchtig zu machen. Die Figuren, die man hier begleitet, haben alle ihre Ecken und Kanten und verhalten sich in den seltensten Fällen richtig und haben mit einer Identitätskrise zu kämpfen, die bereits von Anfang dieses Buches an vorhanden ist und sich bis zur letzten Seite nicht vollständig auflöst. Hierbei geht Smith sogar nicht nur auf die Jugendgeneration ein, sondern auch auf die ältere Generation, die in England eingewandert ist und sich ein komplett neues Leben aufbauen und Altes aufgeben musste, während dessen Kinder bereits in England geboren werden. Aus diesem Grund bekommt der Leser viele verschiedene Umgangsarten mit dieser Problematik geboten: Während der Muslim Samad sich in die Religion flüchtet und sich so fühlt, als könne er jeden Moment für seine Vergehen von Gott bestraft werden, meidet die jamaikanische Schönheit Clara jegliche Art von Religiosität, da sie als Tochter einer fanatischen Zeugin Jehovas aufgewachsen ist. Außerdem haben wir da noch Alsana, die sowohl das vergleichsweise moderne England mit ihren Traditionen aus Bangladesh zu verknöpfen versucht, während sie gleichzeitig feststellen muss, dass sie und Samad sich immer weniger zu sagen haben, und Archie, der der einzige ist, der keinen Imigrationshintergrund hat, sich jedoch von seinem besten Freund unterjochen lässt und lieber eine Münze wirft, anstatt tatsächliche Entscheidungen zu treffen. Die Kinder dieser Elterngenerationen durchleben diese Krise sogar noch intensiver; Magid schämt sich aufgrund seiner Herkunft und gibt deswegen vor, einer englischen Familie anzugehören, während sein Bruder Millat im Laufe der Zeit immer mehr zum Fundamentalisten mutiert und sich konstant gegen alles stellt, was nicht mit seiner Herkunft zu tun hat, obwohl ihm diese Dinge selbst Spaß machen, und Irie, die Kindheitsfreundin der beiden Brüder, nicht nur die Schwierigkeit hat, herauszufinden, wo sie hingehört, sondern auch ihre Sexualität entdecken muss. 
Somit hat die Autorin eine Menge Spielraum für Konflikte geschaffen, der auch wirklich bis zur Fülle genutzt wurde. Die Gedanken der einzelnen Hauptcharaktere werden sehr detailliert und verständlich geschildert, sodass man diese Menschen trotz ihrer Konservativität und all den Fehlern, die sie begehen, dennoch gern hat. Natürlich möchte man vor allem Millat und Samad ab und an ins Gesicht schlagen, weil dies, was die beiden tun, nichts mit persönlicher Überzeugung zu tun hat, sondern mit der Angst, heimatlos zu sein und sich deswegen an das Naheliegendste zu binden, verbunden ist, aber dennoch entwickelt man zumindest eine Art Mitleid für sie. Viele getroffene Entscheidungen sind unglaublich naiv und ziehen eine Kette von Ereignissen hinter sich her, die für die wenigsten positiv ausfallen, aber dennoch macht genau diese Fülle an Makeln sie zu diesen Personen, mit denen sich jeder Leser wird identifizieren können, auch wenn dieser kein Immigrant sein sollte. So wird auch die Lust, mehr über das voranschreitende Leben dieser zu erfahren, denn man entwickelt schon ein gewisses Interesse an ihnen und ihrem Schicksal, auch wenn man wahrscheinlich außerhalb eines Buches diese Menschen nicht gern hätte. Aber dennoch hat man immer die Hoffnung, dass sich die Situation bessert und dass diese Leute dazulernen, und immer wieder zu erleben, wie diese Hoffnung grundlegend erschüttert wird, ist einfach ungeheuer realitätsnah und natürlich nicht schön. Samad ist ein konservativer Patriarch, der sich die Freiheit nimmt, über die Zukunft seiner Kinder zu entscheiden, ohne auf dessen Wünsche zu achten; Alsana toleriert nicht, dass ihre Nichte eine feministische Lesbe geworden ist und sich mit einem Mädchen trifft, weswegen sie sie Nichte-der-Schande nennt, und tritt selten in Kommunikation mit ihrem Ehemann; die einzigen Charaktere, die wirklich einigermaßen freundliche Menschen waren, die vernünftige Entscheidungen getroffen haben, sind Clara und Neena. Auch Charaktere, die wir erst nach Jahren innerhalb der Geschichte kennenlernen, da sie zu einem Wendepunkt darin führen, sind höllisch unsympathisch und nichts als Heuchler. Dennoch, solche Menschen gibt es, und obwohl sie alles andere als Sympathieträger sind, sind sie alle trotzdem runde und ausdrucksstarke Figuren, an dessen Leben man als passiver Zuschauer teilhaben will.
Dies wird vor allem durch Smith's Schreibstil vermittelt, der, wie so wenige andere, als auktorial bezeichnet werden kann. Hierbei kommentiert sie das Geschehen auf eine so sarkastische und zauberhaft sympathische Weise, dass man trotz des Dramas der Geschichte einen gewissen Humor vorfindet, der die Situation lockert. Außerdem zeigt die Autorin, dass sie alle ihre Charaktere in gleicher Weise wertschätzt und behandelt, denn die Handlung eines jeden wird irgendwann durch bissigen Sarkasmus kritisiert, jedoch die Geschehnisse und Entschlüsse auch so darstellt, als hätten diese Menschen keine andere Wahl. Und diese Balance zu schaffen zwischen Verständnisaufbringen und Kritik haben ihren Schreibstil zu etwas ganz Besonderem gemacht. Sie nimmt den Konflikten durch die beschriebene Szenerie und die teils lustigen, teils absurden Dialoge der Charaktere die Schärfe, lässt den Leser jedoch niemals vergessen, dass er sich inmitten einer Geschichte voller gescheiterter Persönlichkeiten befindet. Aus diesem Grund ist ihre Art, dies alles miteinander zu verweben und die Emotionen und Geschehnissen und Lebensarten von Immigranten zu beschreiben, einfach einzigartig. Interessant war es auch, dass sie in den vier Teilen, in die sich das Buch spaltet, die Perspektiven zwischen den Hauptcharakteren wechselt, da man so einen sehr genauen Einblick in ihre Gedankenwelt bekam und sich die Erzählweise sogar einen Ticken ändert.
Sehr überraschend ist außerdem auch die Darstellung von Rassismus und dem Anpassen an eine Kultur, da man hier weniger direktes Mobbing in beispielsweise der Schule von Millat, Magid und Irie vorfindet, sondern es durch viele indirekte Dinge deutlich wird. So erhaschen wir einen Blick darauf, wie viel Geld und Zeit schwarze Frauen mit lockigen Haaren investieren, um ihren Haarschopf zu glätten oder zu färben, wir erfahren, dass einige Engländer nicht mal auf die Idee kommen, jemand könnte Weißfarbige nicht mögen, wie mit zunehmenden Alter die Eltern immer weniger wollen, dass die Kinder sich an die moderne Zeit anpassen, und diejenigen sein möchten, die es geschafft haben, ihr Kind traditionell zu erziehen. Der Punkt ist, dass Smith keine großen Skandale oder Prügeleien braucht, um darzustellen, wie das Leben eines Immigranten aussehen kann, sondern nur ganz kleine Dinge, die inzwischen so gängig sind, dass man sie nicht mehr bemerkt. Somit zeigt sie uns dieses Dasein auf eine äußerst subtile Weise und vermeidet hierbei jegliches Klischee; im Gegenteil, sie macht sich sogar über diese lustig. Beispielsweise wird Millat extrem wütend auf Irie, wenn sie grammatikalisch und richtig ausgesprochenes Englisch spricht, weil sie so seiner Meinung nach aufgrund ihrer Herkunft nicht reden soll, während er sich Mühe gibt, seine Sprachfähigkeiten möglichst schlecht darzustellen. Somit erfüllt er das Klischee eines ungebildeten Muslims, aber auch nur, weil es von ihm, als Fundamentalist und Rowdy, erwartet wird und sich dem fügt, um sich eher zuhause zu fühlen. Dass Smith so auf das Schubladendenken verweist und es zugleich vermeidet, jemanden wie ein pures Klischee darzustellen, ist sehr unerwartet und bringt zahlreiche Bonuspunkte für diesen Einzelband. Jeder besitzt seine eigene Geschichte, seine eigenen Gründe, seine eigene Einstellung, und jeder verändert sich in eine Richtung, die zwar nicht vollkommen abwegig ist, die man jedoch auch nicht erwartet hätte. Somit lebt diese Geschichte praktisch von Charakterentwicklungen, egal ob es nun Iries Schulfreund Josh, der seinen Vater für seine wissenschaftlichen Experimente verachtet und frühe der brave Sohnemann war, Archie, der sich verselbstständigen will, oder Samad, der mit genau dieser plötzlichen Aufmüpfigkeit Archies nicht klarkommt und sich so fühlt, als stelle sich jeder gegen ihn, ist. Auch der Mangel an Charakterentwicklung steht hierbei im Vordergrund, zum Beispiel gezeigt anhand des Verhältnisses von Clara zu ihrer Mutter Hortense, das aufgrund des Fanatismus ihrer Mutter seit einigen Jahren nicht mehr zu retten ist. Es ist eine Geschichte voller Tragik und der Angst vor dem Selbstverlust, die den Leser emotional mitreißt trotz wenigen Sympathieträgern.
Ein einziger Mangel von Zähne zeigen könnte sein, dass die Autorin dem Leser eine sehr expansive Geschichte gegeben hat, die vor lauter philosophischen Gedankengängen, Vergangenheitserläuterungen und Gesellschaftskritik vollkommen die Klimax außer Acht lässt. Denn obwohl diese Geschichte wie aus dem Leben geschnitten erscheint, man sich auch nicht an all den langen Dialogen stört und es so einige Wendepunkte gibt, die meistens negative Konsequenzen nach sich ziehen, so wird es doch nach einer Weile anstrengend, all dies aufmerksam mitzuverfolgen. Es hätte sicherlich auch viele Stellen gegeben, die man hätte zitieren können, vor allem diejenigen, in denen das Leitmotiv der Zähne dabei ist, aber der Spannungsbogen bleibt nahezu das gesamte Buch über eher eine etwas wackelige Konstante. Auch sind einige Handlungsstränge viel schneller vorbei, als man eigentlich angenommen hat, und abgesehen von einem einzigen Ereignis wird sich auch nicht mehr damit auseinandergesetzt, als sei es nie passiert. Einzig und allein am Ende werden alle Handlungsstränge zusammengeführt und das Ende lässt den Leser einfach sprachlos zurück, nicht nur wegen seiner Offenheit, sondern auch wegen einem großen Geheimnis, das aufgedeckt wird. Dennoch, es wäre besser gewesen, hätte die Autorin nicht eine so lange Zeit lang die Geschichte vor sich hin plätschern lassen, weil es trotz der Dialoge und Vielfalt der Protagonisten eher eintönig gewesen ist.




Zusammenfassend kann man Zadie Smith von ihrer ausschweifenden Art zu beschreiben mal abgesehen für diesen Roman nur loben. Nicht nur sind die Charaktere wahnsinnig realistisch und sind die wohl unperfektesten Menschen überhaupt, sondern auch die Darstellung einer Identitätskrise und dem Zurechtfinden in einem Land, das so komplett anders ist als ihr Herkunftsland. Emotional mitreißend und mit einem gewissen Biss erzählt uns die Autorin die Geschichte zweier befreundeter Familien und wie diese zu ihrem wahren Selbst finden wollen, und zwar über wahnsinnig viele Probleme und negative Konsequenzen. Ein wirklich geniales Buch mit einer berührenden Thematik und einer erschreckend realen Darstellung.





Ich gebe dem Buch:


♥.♥  Herzchen (4.42)




Extra:


Wegen des Erfolgs dieses Einzelbandes wurde eine vierteilige TV-Serie entwickelt, die denselben Namen trägt wie dieser. Hier zu der Szene, in der Archie und Clara sich kennenlernen.

CU
Sana

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