Mittwoch, 4. Februar 2015

:)Rezension:): Wir Kuckuckskinder

Grundwissen:


Titel: Wir Kuckuckskinder (original: Кукушата, или Жалобная песнь для успокоения сердца)
Autor/-in: Anatoli Pristawkin
Erschienen: 1993 im Fischer-Taschenbuch-Verlag; 1990 erstmals auf Deutsch
Seitenanzahl: 235 Seiten
Preis: siehe Amazon
Genre: Young Adult; Historical Fiction; Drama




Inhalt:


Wir werden nichts schreiben. Wir werden schweigend verschwinden, stumm [...], und niemand wird uns hören. Wir werden unser Klagelied nicht singen, nicht hinausschreien. Wer will es schon hören? Die Menschen wollen die Wahrheit gar nicht wissen. Sie brauchen Lügen. Sie wollen damit leben.Und sie wollen, dass wir auch so leben. Das heißt, wir sollen lügen. Und wenn wir ihre Lügen nicht wollen, können sie uns nicht gebrauchen. - Sergej (S. 155)

Eine Handvoll Zöglinge, der jüngste ist sechs, der älteste fünfzehn Jahre alt, lebt unter unmenschlichen Bedingungen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in einem Kinderheim der Sowjetunion, dem sogenannten ,,Spez''. Sie alle hören auf den Namen Kukuschkin, was Kuckuck heißt.
Eines Tages erhält Sergej, das älteste Kuckuckskind, Besuch von einer ,,Tante'', der ehemaligen Freundin seines verschollenen Vaters. Sie überreicht dem Jungen ein Sparbuch mit sagenhaften Wert von 100000 Rubel und erzählt, dass Sergejs Vater, ein namhafter Flugzeugkonstrukteur, als sogenannter Volksfeind verhaftet wurde. Daraufhin beschließen die Kinder eine waghalsige Reise nach Moskau zu unternehmen, in der Hoffnung, dass Stalin, der ja ,,der beste Freund der Kinder'' ist, ihnen bei der Suche nach ihren wirklichen Eltern helfen könnte. Auf ihrer abenteuerlichen Odyssee erleben sie seitens der Erwachsenen jedoch überwiegend Feigheit und Brutalität. [...](*)


(*) Einige Sätze wurden aus der Zusammenfassung von mir persönlich gestrichen, da sie meiner Ansicht nach zu viel über die nachfolgende Handlung preisgeben.






Meine Meinung ....





zum Cover:




Deutsches Cover Nr. 2: ♥♥
Deutsches Cover Nr.1: ♥♥























Wie immer sind die Cover dieser alten Bücher nicht besonders auffallend - toll schon gar nicht. 
Die erste deutsche Aufmachung sieht zwar stilistisch viel besser aus als das Gekritzelte auf Cover Nr. 2, jedoch hat es so ziemlich gar nichts mit dem Buch zu tun. Vielleicht ist es für mich auch zu abstrakt dargestellt, aber ich kann keine Verbindung erkennen.
Die zweite deutsche Ausgabe sieht meiner Meinung nach auch nicht viel besser aus, jedoch habe ich das Motiv der beiden Kinder (?) auf der Wiese erst nach dem Lesen des Buches tatsächlich verstanden. Dies ist nämlich eine Wunschvorstellung, die unser Protagonist Sergej öfters mal hat, und die ihm die heile Welt zeigt, die er sich so sehr wünscht.
Der Titel ist nicht besonders einfallsreich, jedoch passt er natürlich trotzdem, da es um die Kuckuckskinder geht.
Alles in allem kein Buch, dessen Cover dem Inhalt gerecht wird.






zum Buch:





Einige, die diesen Blog vielleicht schon etwas länger verfolgen, wissen, wie viel ich für historische Romane und geschichtliche Ereignisse, vor allem die beiden Weltkriege, übrig habe. Doch da meine Auswahl der Bücher, die zu dieser Zeit spielen, immer auf solche gefallen sind, die in Deutschland spielen, erschien mir Wir Kuckuckskinder mit Russland unter Stalin als Roman mit außergewöhnlichem Schauplatz.
Doch nicht nur der Schauplatz ist mal etwas anderes, sondern auch die Geschichte an sich. Zu Waisenhäusern haben wohl viele auch noch in diesem Zeitalter eine schlechte Meinung, und dieses Buch bestätigt, dass der Zustand in jenen wirklich sehr schlimm gewesen war. Doch für unsere Protagonisten sogar noch schlimmer, denn sie sind keine gewöhnlichen elternlosen Kinder, sondern Kinder von Verbrechern. Dies wissen sie allerdings nicht und haben ihr Leben im ,,Spez'' weitestgehend akzeptiert. Der Einblick, den man in dieses Leben bekommt, ist wirklich gut beschrieben und passt sogar von der Stilistik her zu den eher ungebildeten und nichtsahnenden Kindern. Natürlich sind solche Grammatikfehler wie ,,dem seine'' keine Augenweide und ärgern einen vielleicht ein bisschen, allerdings ist Russisch zum einen keine einfache Sprache und zum anderen erscheinen die Kinder durch diesen Sprachgebrauch noch glaubhafter. 
Viel Wert auf örtliche Beschreibungen legt Anatoli Pristawkin zwar auch nicht, allerdings ist das, was er beschreibt, wirklich sehr atmosphärisch und regt die Vorstellungskraft eines jeden Einzelnen an. Was außerdem auch stilistisch sehr gut gelungen ist, sind die Wunschvorstellungen der Kinder, die ab und an so platziert sind, dass Realität und Vorstellung miteinander verschwimmen und man selbst als Leser schwankt, welchem Bild man nun Glauben schenken soll. Und da Kinder eine so große Fantasie haben und diese auch so viel über sie selbst erzählen, ist dieser Kniff wahnsinnig gut, vor allem da es teilweise sehr erschreckend ist, welch eine unterdrückte Gewalt in diesen kleinen Herzen steckt.
Aus dem Grund müsste man meinen, dass die Gruppe von Kindern, die man durch die Geschichte begleitet, unsympathisch wäre, eine Bande von kleinen Raufbolden, die lügen und betrügen und bestehlen. Und ja, sie stehlen, und ja, sie lügen - aber das tun ebenfalls die Erwachsenen in dieser Geschichte. Nicht nur die Identitäten der Kinder, was man an dem einheitlichen Nachnamen Kukuschkin erkennen kann, nein, auch alles, was sie in irgendeiner Weise ergattert bekommen, wird konfisziert. Auch auf kritische Nachfragen im Unterricht vermeiden die Lehrer eine Antwort und verweigern den Kindern somit sogar Wissen und Bildung. Dies hat mich dazu gebracht, doch mit den Kindern mitzufühlen, nicht nur, weil sie sich unbewusst nach Eltern sehnen und deswegen auch das Erscheinen von Sergejs angeblicher Tante so spannend für sie ist, sondern weil ihr Verhalten durchaus nachvollziehbar ist. Wenn sie nur Erwachsene als Vorbilder haben, die sich so rücksichtslos und gierig verhalten, wie kann man da noch Raum für eine andere Entwicklung haben? Von daher finde ich das teilweise kriminelle Verhalten der Kinder sogar notwendig und unter diesen Bedingungen nicht moralisch verwerflich.
Was ebenfalls schön an den Kindern ist, ist ihre Freundschaft, denn obwohl sie sich alle so deutlich voneinander unterscheiden, entspricht keiner von ihnen einem Klischee oder verhält sich nicht nachvollziehbar. Vor allem Sandra, Engel und Schwänzchen haben es mir während dem Lesen sehr angetan, da man aus nächster Nähe miterlebt, wie diesen Kindern die unschuldige Sicht auf die Welt genommen wird und sie erkalten, um zu tun, was sie für notwendig halten. Doch obwohl diese Kinder wissen, dass die Welt nicht gerecht ist, versuchen sie noch, vor allem Sersch, den kleinen Schwänzchen vor jedem Leid zu bewahren, was ich einfach nur liebenswürdig finde. Das zeigt, dass trotz der Verbitterung, die sich beispielsweise bei Sandra sogar in Mordlust zeigt, eine gewisse Nähe zu den anderen Kukuschkins da ist und die Kinder eine Familie haben, für die es sich zu kämpfen lohnt. Sergej als Protagonist mag vielleicht nicht der Interessanteste der Gruppe sein, jedoch ist er eine entscheidende Schlüsselfigur und macht durch das Buch hinweg auch einen Wandel durch. Wenn er noch am Anfang des Buches nicht daran glauben wollte, dass er überhaupt jemals Eltern hatte, so wächst die Neugier in den darauffolgenden Kapiteln, die ihn schließlich einen hohen Preis kostet. Auch wenn er mit der eigentlich ganz sympathischen Tante sehr ruppig umgegangen ist, man hat ihn trotzdem als Hauptperson gern und begleitet ihn gerne bei seinen Abenteuern.
Diese beginnen nämlich mit dem Erscheinen der Tante. Die Kinder müssen sich auf eine Reise voller Gefahren und zu lüftender Geheimnisse begeben, eine Reise, die ihnen die Augen so gewalttätig öffnen wird, dass sie nie wieder dieselben sein werden. Es macht unheimlich großen Spaß, ihnen dabei zu folgen, vor allem da es so viele unerwartete Wendungen gibt. Gerade wenn man denkt, dass alles gut sein wird oder zumindest eine Hilfestellung von außen kommt, so wird diese Hoffnung von Pristawkin in Grund und Boden gestampft. Auch wenn man das Thema Stalin noch nicht in Geschichte durchgenommen hat, so wird die Manipulation beinahe schmerzhaft deutlich und jedes Mal möchte man die Kinder in den Arm nehmen, weil sie sich immer an das Beigebrachte klammern: Stalin ist euer Freund. Stalin steht euch immer bei. Stalin will nur das Beste für euch. Insofern empfindet man eine große Trauer im Verlauf des Buches, der nur selten durch kleine Momente des Glücks abgelöst wird. Es ist wirklich sehr mitreißend, vor allem da am jähen Ende des Buches der Bogen der Tragik so weit überspannt wird, dass es sich in einem sehr großartigen Finale entlädt, das den Leser das ein oder andere Tränchen kosten kann. Doch auch nach diesem Finale kommt ein Epilog, der einen, auch wenn man meint, dass die Handlung ausgeklungen sein muss, aus den Socken haut und nochmals verdeutlicht: Wer einmal etwas Böses tut, den wird es ewig lange verfolgen.



Ein wirklich grandioser Roman über sowjetische Waisenkinder, die verzweifelt nach ihrer Herkunft, ihrem Glück und ihrem Ausgang aus dem Waisenhaus suchen und dabei bis zur letzten Seite noch nicht hinter die Hirnwäsche blicken können. Trotz der leicht störenden Grammatikfehler ist es sehr gefühlvoll und mitreißend geschrieben, voller spannender Situationen, die den Leser auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitnehmen und ihn selbst noch nach Beenden des Buches mit aufgestellten Nackenhaaren aufgelöst zurücklässt. Für jeden Fan eines historischen Romans ein Muss und definitiv sehr empfehlenswert!




Ich gebe dem Buch:


♥.♥  Herzchen




Extra:


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CU
Sana

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