Sonntag, 1. Februar 2015

:)Rezension:): Das Erdbeben in Chili

Grundwissen:


Titel: Das Erdbeben in Chili
Autor/-in: Heinrich von Kleist
Erschienen: 4.02.2009 im Schöningh-Verlag (ursprünglich: 1807)
Seitenanzahl: ca. 20 Seiten ohne Anmerkungen und zusätzliche Geschichten
Preis: 4,50 € (Schöningh-Ausgabe)
Genre: Historical Fiction; Klassiker




Inhalt:


Und in der Tat schien, mitten in diesen grässlichen Augenblicken, in welchen alle irdischen Güter der Menschen zugrunde gingen, und die ganze Natur verschüttet zu werden drohte, der menschliche Geist selbst, wie eine schöne Blume, aufzugehn. - S. 11


Solange niemand den engen Pfad von Pflicht und Tugend verlässt, ist Chili eine angenehme Bleibe. Doch wehe, einer entscheidet sich für den eigenen Weg. Josephe wird ins Kloster gesteckt, als ihr Vater von ihrer Liebe erfährt. Während einer Feiertagsprozession wird ihr Kind geboren, weswegen ihr die Hinrichtung droht. Nur das große Erdbeben rettet sie vor dem sicheren Tod. Auch ihr Liebster Jeronimo kann so dem Kerker entkommen. Vom gemeinsamen Glück geblendet, beschließen sie hoffnungsfroh die Rückkehr in die Stadt. Ein fataler Fehler…





Meine Meinung ...




zum Cover:




Cover Nr. 1: ♥♥♥♥
Cover Nr. 2: ♥♥♥♥






















Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich das: Gute Aufmachungen für Klassiker der deutschen Literatur! 
Beide Aufmachungen spiegeln Situation und Charaktere dieses Buches wieder, auch wenn sie sehr unterschiedlich sind. Während das erste Cover das Erdbeben und Leiden zeigt, das die Menschen durchleben mussten, zeigt das andere die Hoffnung, dass die dargestellten Personen aus diesem Erdbeben heraus ein neues gemeinsames Leben aufbauen können. Von daher sind beide Aufmachungen sehr aspektgeleitet und eignen sich bestimmt auch gut im Bücherregal. 
Der Titel ist - wie bei allen Geschichten von Kleist - sehr treffend und auf das Zentrum der Geschichte gerichtet.
Sehr schön, da bin ich sogar in Versuchung, meine Ausgabe gegen die oben aufgeführten zu tauschen ...





zum Buch:




Man hatte Glück im Unglück. Ein Sprichwort, das wohl jeder schon in irgendeiner Weise gehört hat. Etwas Schreckliches ist geschehen, aber dennoch hat es eine kleine Sache gegeben, die dieses Schreckliche abgemildert, vielleicht sogar in etwas Schönes verwandelt hat.
Unter diesem Gesichtspunkt kann man diese Kurzgeschichte von Kleist auch sehr gut zusammenfassen. Zwei Menschen, die wegen ihres ,,unmoralischen Tuns'' zum Tode verurteilt wurden, und die durch einen schrecklichen Vorfall aus diesem Schicksal errettet werden und dies als einen Neuanfang betrachten. Was diese grobe Skizzierung der Handlung so interessant macht, ist, dass es total diffus und widersprüchlich erscheint. Eine Naturkatastrophe solchen Ausmaßes, und da soll man trotz dem Entfliehen vor dem Tod glücklich sein? Kann man Jeronimo und Josephe überhaupt als gute Menschen bezeichnen, wenn sie aus einem so schlimmen Ereignis ihre Vorteile ziehen?
Verübeln kann man es ihnen immerhin nicht. Kleist beschreibt die beiden Charaktere zwar nicht besonders ausführlich - was angesichts der knappen Seitenzahl auch berechtigt ist -, allerdings erwecken sie schon mindestens Mitleid und im Bestfall wirkliche Sympathie. Man bekommt in der sehr kurzen Exposition geschildert, wie die beiden zu ihrer derzeitigen Situation gekommen sind, und kann an sich gar nicht anders als mitzufühlen. Nicht, weil verbotene Liebe immer einen leicht romantischen Beigeschmack hat, sondern weil diese beiden meiner Ansicht nach dieses Glück auch gegönnt haben sollten. Überhaupt ist das Thema einer Beziehung zwischen Schüler und Lehrer ja auch noch in heutiger Zeit verpönt und hat dementsprechend ein Schmunzeln in mir geweckt, weil ich mir ähnliche Flüche und schlechtes Gerede wohl auch bei einem aktuellen Fall vorstellen könnte. Meine eigene Meinung dazu sei jedoch nicht das Thema dieser Rezension. Jeronimo und Josephe wollen einfach nichts als einander und die Möglichkeit, ein Leben aufzubauen, in dem sie von der Gesellschaft akzeptiert werden und ihr Kind kein Schandfleck innerhalb der Stadt sein wird. Da die beiden sich trotz so vielen Turbulenzen gefunden haben und bis zum Ende für ihren Traum kämpfen und auch Hoffnung dafür schöpfen, dass die Gesellschaft sich nach dem Erdbeben verändert hat, zeugt von viel Liebe und Willenskraft, weswegen man die beiden einfach bewundern muss.
Auch die Nebencharaktere wie Don Fernando und seine Gemahlin Donna Elvire wirken sehr einnehmend auf den Leser, da sie eine offenere und tolerantere Stellung beziehen als diejenigen, die Jeronimo und Josephe den Tod wünschten, und somit näher an der heutigen modernen Sicht der Dinge sind. Dass sie dem Liebespaar noch bis zum Ende beistehen und Don Fernando sogar eine kleine Heldenrolle übernimmt, ist ungeheuer gewagt und zeugt davon, dass wahre Freundschaft auch in Krisenzeiten überleben kann.
Außerdem herrscht in diesem Buch auch ein sehr hoher Spannungsbogen. Nach der Exposition geht es mit dem sehr gut beschriebenen Erbeben los, es wird der Überlebenskampf der Betroffenen dargestellt, wie die Grenzen zwischen einzelnen Ständen verwischen und wie viel sich nach einer solchen Katastrophe ändern kann. Man ist sehr gespannt darauf, ob das Liebespaar und ihr Baby es schaffen werden, sich wortwörtlich aus dem Schutt und der Asche zu erheben und ganz neu anzufangen, und man fiebert auch tatsächlich mit, vor allem da circa ab der Hälfte des Buches ein Wendepunkt eintritt und dann diese Stimmung des Glückes im Unglück sofort umschlägt und man sich wünscht, die Familie hätte sich anders entschieden. Von Wiedersehensfreude, Liebe und seliger Hoffnung schwingt die Stimmung zu Schrecken, Blutdurst und Feindseligkeit - verschwunden ist der kleine Funke, Kleist trampelt ihn förmlich teuflisch lachend nieder. Aus diesem Grund hat diese Geschichte jedoch auch so realistisch gewirkt - ja, es gibt kein tatsächliches Happy End und dies zeigt eben, wie unsere Gesellschaft ist: hetzerisch, auf ihren eigenen Vorteil bedacht, vorurteilbehaftet. Außerdem finde ich es sehr gewagt von Kleist, in dieser kleinen Novelle auch, abgesehen von der Gesellschaft, auch die Religion zu kritisieren und wie diese von den Mitgliedern der Kirche zu dieser Zeit ausgenutzt wurden, um sich ihre Macht zu sichern. Denn auf was hoffen die Menschen bei so einem Unglück? Auf Gottes Beistand. Wer kann ihnen diesen versichern? Der über alles geehrte Priester. Von daher - ganz stark gemacht, Kleist! Sehr schöne Kritik!
Ansonsten bleibt natürlich Kleists Schreibstil etwas zu bemängeln. Ich habe es bereits in anderen Rezensionen zu seinen Büchern erwähnt, aber dieser Schriftsteller ist ein Meister der Syntax und Aneinanderreihungen von Nebensätzen. Dies macht es jedoch deutlich schwerer, das Werk beim ersten Lesen zu verstehen, vor allem wenn plötzlich der Name von einem Charakter auftaucht, der vorher keine Rolle spielte. Von daher wäre dieser Schreibstil wohl für Menschen angebracht, die keinerlei Probleme damit haben, einen Satz nochmal zu lesen oder aber nichts gegen den deutschen Konjunktiv zur Wiedergabe einer Aussage - denn dies findet sich bei Kleist häufig.




Alles in allem eine schrecklich schöne Kurzgeschichte, die emotional aufwühlt, spannend ist und einen für einige kurze Augenblicke in eine andere Zeit entführt, in der die Menschen gläubiger und strenger waren, in der es aber dennoch schon Ausgrenzung und die auch heute noch unerhörten Themen ihr Eigen nennen konnten. Ignoriert man die Komplexität des Schreibstils, so ist diese Geschichte definitiv eine nette kleine Geschichte für Zwischendurch gelesen, aus der man definitiv viel mitnehmen kann. Und zwar nicht nur Menschen, die auf Klassik stehen oder dies für den Deutschunterricht lesen müssen! Gemessen an heutigen Büchern ein im Durchschnitt liegendes Buch, was aber dennoch empfehlenswert ist.




Ich gebe dem Buch:


♥.♥  Herzchen (3.67)




Extra:



Ein ganz netter Überblick über Stilmittel und die Geschichte an sich:



CU
Sana

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