Montag, 20. Oktober 2014

:)Rezension:): Future

Grundwissen:


Titel: Futu.re (original: Будущее)
Autor/-in: Dmitry Gluckhovsky
Erschienen: 2014 im Heyne-Verlag
Seitenanzahl: 925 Seiten
Preis: 16, 99 € (Taschenbuch)
Genre: Science Fiction; Dystopie; Adventure





Inhalt:



Wirtschaft und Umweltschutz sind ihnen scheißegal, und zum Nachdenken sind sie zu faul und zu feige. Alles, was sie wollen, ist ewig zu fressen und zu ficken. Dagegen hilft eben nur Abschreckung. - Erich Schreyer


Europa in der Zukunft. Seit der Tod mit technischen Mitteln besiegt wurde, ist der Kontinent völlig überbevölkert und zu einer gigantischen Metropole aus hoch in den Himmel ragenden Wohntürmen zusammengewachsen. In diesen Türmen herrscht eine brutale Ordnung: Die Fortpflanzung ist streng reglementiert, der Preis für ein Kind ist der Verlust des eigenen Lebens. Aber wer braucht noch Kinder, wenn er ewig jung und gesund sein kann?
Jan Nachtigall ist Mitglied einer Sondereinheit des Sicherheitsministeriums, die streng über die Einhaltung der Fortpflanzungsgesetze wacht. Ihre Aufgabe ist es, illegale Kinder aufzustöbern und nicht angemeldeten Schwangerschaften auf die Spur zu kommen. Eines Tages erhält Jan überraschend einen Sonderauftrag: Er soll einen Terroristen und dessen schwangere Freundin ausschalten. Für ihn ist es die große Chance, sich zu beweisen und die Karriereleiter hochzuklettern. Doch als er mit seiner Einheit die konspirative Wohnung stürmt, kommt alles anders als gedacht. Der Terrorist kann entkommen, und kurz darauf ist Jan selbst auf der Flucht - an seiner Seite die junge Frau, die er eigentlich töten soll. 
Es ist der Beginn eines Kampfes, in dem es um nichts Geringeres als die Zukunft der Menschheit geht.



*Quelle: amazon.de





Meine Meinung ...





zum Cover:




Deutsches Cover: ♥♥♥
Original-Cover: 





















Meiner Meinung nach sind beide Cover durchaus geeignet für diesen Roman. Zugegebenermaßen würden sie meine Aufmerksamkeit wegen ihrer dunklen Farben nicht unbedingt auf sich ziehen, allerdings sind die dargestellten Motive wirklich sehr passend.
Während das deutsche Cover einen Ausschnitt von Hochhäusern zeigt, welche im riesigen Europa die einzigen Gebäudearten sind, die sogar bis in den Himmel reichen und in denen jeder Mensch Europas untergebracht wird, zeigt das russische Original das Gesicht Apollos. Das Gesicht, mit dem sich die Phalanx - also die oben erwähnte Sondereinheit, in der die Hauptperson arbeitet - maskiert, wenn sie auf einer Mission ist. Zusätzlich dazu ist diese Maske auch ein Symbol für Jans innerliche Veränderung und seine Zerrissenheit, wenn er immer wieder infrage stellt, ob es richtig ist, was er für die Gesellschaft tut.
Was den Titel betrifft, so ist dieser bei beiden Ausgaben gleich und passt meiner Meinung nach nur mäßig. Natürlich ist es eine dystopische Gesellschaft und auch Jans Lebenssinn und dieses Buch dreht sich hauptsächlich um die Zukunft der Menschen, allerdings wirkt dieser Titel einfach sehr unkreativ und könnte wohl auf jedem dystopisch oder apokalyptisch angehauchtem Roman prangen.
Insofern wirklich gelungene Aufmachungen mit durchschnittlichem Titel.







zum Buch:




Ich muss gestehen, dass dieser fette Schinken nicht jedermanns Sache sein könnte. Zum einen wegen dieser gewaltigen Anzahl an Seiten, auf denen sich die Handlung ab und an streckt oder aber unnötige Szenen in die Handlung eingebaut wurden; und wenn schon erst nach der Hälfte eines über 900 Seiten langen Buches überhaupt etwas passiert, was die Handlung vorantreibt, so kann es leicht passieren, dass man als Leser die Geduld verliert und das Buch zur Seite legt. Zum anderen liegt es daran, dass dieses Buch, obwohl es eine Thematik beschreibt, die sehr viel Wahrheit beinhaltet und die wahrscheinlichste Zukunft unserer Gesellschaft präsentiert, einen großen Mangel aufweist: sexuelle Perversion.
Bevor man zu schnell urteilt, muss ich euch mitteilen, dass ich nichts gegen ausführlich beschriebene Sexszenen habe und dies in einem Buch toleriere - wenn es denn einen Sinn hat. Und dies hat er in diesem Buch einfach nicht. In den ersten zweihundert Seiten des Buches wird der Leser nämlich in eine sehr perverse und sexbesessene Welt hineingezogen, in der jeder mit jedem Geschlechtsverkehr an jedem Ort Europas hat und anscheinend auch haben darf, solange eine Schwangerschaft vermieden werden kann. Was man hier erlebt, sind sexuelle Übergriffe auf wehrlose Frauen, Kinder, die Kinder missbrauchen, sexuelle Spannung zwischen Menschen, die sich gerade erst kennengelernt haben, Homosexuellen-Klischees und Zeichnungen von Genitalien, wo es nur geht. Die Frage, die ich mir stelle, ist: Warum? Warum ist Sex so eine übergreifende Sache dieser Welt? Der Erklärungsansatz Gluckhovskys dazu - dass alle Menschen unsterblich sind und es ihnen aus diesem Grund egal ist, wie oft und mit wem sie wo Sex haben - fällt ziemlich dürftig aus und ist auch nur eine schwache Ausrede dafür, so viel davon in dieses Buch einzuspinnen, vor allem von der Brutalität und dem damit verbundenen Fetischen her (nein, kein BDSM). In einem solchen Ausmaß finde ich es einfach krank und empfinde es als sehr störend und unnötig für die Handlung. Vor allem in einer Zukunft, in der die Fortpflanzung verboten ist, müsste man meinen, dass die Menschen wenigstens einen Hauch von Vorsicht und Bedächtigkeit zeigen würden.
Und nicht nur dieser Aspekt der Geschichte ist unlogisch: Nachdem man vergewaltigt wird, sollte man eigentlich psychische Schäden davongetragen haben oder zumindest Schwierigkeiten mit menschlicher Nähe haben, vor allem von der sexuellen Seite her und wenn alles in dem Unterleib so zerfetzt ist, dass man keine Kinder mehr würde haben können und es eitert und blutet. Warum also ist dieses Mädchen nach wenigen Wochen dazu fähig, mit dem Hauptcharakter zu schlafen und den Geschlechtsverkehr auch noch in vollen Zügen zu genießen? So schnell verheilen weder körperliche noch psychische Wunden - sie sollte also zumindest irgendwelche Schmerzen haben. Aber nein, das tut sie nicht, es ist alles in bester Ordnung, die beiden können viele Male miteinander schlafen, ohne dass sie sich je beschwert.
Womit man am Anfang ebenfalls zu kämpfen hat, ist die Hauptperson: Jan Nachtigall, Auftragskiller, Mitglied der Phalanx und, obwohl er im Vergleich zu anderen Mitarbeitern anständig ist, brutal und sadistisch. Jan Nachtigall, den man zu Anfang des Buches einfach nur hassen kann, so fanatisch wie er an seinen Beruf glaubt und dazu so viele Dinge macht, die unnötig gewalttätig sind. Die Phalanx hat eine durchaus grausame Vorgehensweise, die Kinder der Mütter, die ihre Schwangerschaft nicht gemeldet haben, abzutreiben und empfinden Hohn und Spaß dabei. Mit solchen Menschen kann man nicht sympathisieren, weswegen ich ihm ziemlich lange die Pest an den Hals gewünscht habe, auch, als er sich zu ändern beginnt. Warum? Weil der einzige Grund für seine Änderung Annelie ist, das Mädchen, das er eigentlich töten sollte, und in die er sich augenblicklich Hals über Kopf verliebt, nachdem sie von seinen Kollegen der Phalanx vergewaltigt wurde. Wenn er Mitleid mit ihr hätte, hätte ich seinen leisen Zweifel und all die Versuche, sie zu beschützen, sogar nachvollziehen können - aber Instant Love gehört nun mal nicht zu meinem Verständnis von Glaubwürdigkeit.
Glücklicherweise geht es nach zweihundert Seiten langsam bergauf mit Jan und Future selbst. Man gewöhnt sich langsam an all die übertriebenen sexuellen Anspielungen in der Geschichte und nimmt diese auch nur noch am Rande wahr, weil die Geschichte in Fahrt kommt. Vor allem die Rückblicke auf Jans Jugend und seine Veränderung von dem Jungen, der er gewesen ist, zu dem Monster, das er heute ist, bieten dem Leser einen sehr breiten und detaillierten Überblick über sein Innenleben und legen so dar, warum er bestimmte Dinge denkt oder nach bestimmten Prinzipien handelt. Selbst so etwas Nebensächliches wie seine Fetische erscheinen durch die Vielschichtigkeit Jans in gewisser Weise logisch. Man kann auch durchaus Gefallen daran finden, Jan nicht nur als den gemeinen, brutalen Auftragskiller kennenzulernen, sondern auch seine Fehler und schwachen Momente hautnah mitzuerleben. Und zusätzlich dazu ist die Entwicklung, die er durchmacht, wahrlich beeindruckend und wunderschön anzusehen, sodass er einem im Laufe der Geschichte etwas sympathischer wirkt und man sogar mit ihm leidet und mitfiebert. Auch die anderen Charaktere besitzen eine Vielschichtigkeit, für die Glukhovsky definitiv Hochachtung verdient. Annelie, Jans Kameraden, selbst die Politiker, die der Durchschnittsmensch nur aus der Distanz kennenlernt und in ihnen vielleicht noch nicht mal Menschen sieht, werden einem sehr ausführlich vorgestellt, sodass jede Person dieses Buches sehr real und sehr nahe erscheint. Dies ist ein sehr großer Pluspunkt, auch wenn es nur wenige Personen gegeben hat, die ich als Sympathieträger hätte bezeichnen können.
Außerdem hat Dmitri Glukhovsky eine Welt entworfen, bei der man merkt, wie viel Mühe er sich gegeben hat. Sie ist so detailliert ausgearbeitet und bietet Antworten auf Fragen, die die Dystopien auf dem heutigen Markt nur selten beantworten. Außerdem hebt sich diese Dystopie insofern von anderen ab, dass das Regime nicht wie der Teufel höchstpersönlich, der es liebt, Menschen zu quälen, beschrieben wird, sondern die Gründe dahinter dem Leser erläutert werden. Diese Gründe sind sogar so überzeugend, dass man sich fragt, ob dies nicht zufällig die beste Methode ist, um die Menschen in Schach zu halten. Denn es ist eben so: je mehr dem Menschen ermöglicht wird, desto weniger ist er ans Gesetz gebunden und kann tun und lassen, was er will. Kann man ihn dann auf eine zivilisierte Weise davon abhalten, dass sie ihre eigene Gesellschaft zerstören? Kann Schrecken der einzig passende Schlüssel sein, der die Menschen davon abhalten kann, gedankenlos und egoistisch zu leben? Überpopulation ist nämlich das, was der Menschheit wahrscheinlich noch mehr schaden könnte als Umweltkatastrophen oder die globale Erwärmung. Stellt euch eine wachsende Bakterienkolonie in einer Petrischale vor - was passiert, wenn die Petrischale voll ist? Richtig, die Bakterien sterben ab. Die Menschen würden sich bekriegen und um die letzten Ressourcen kämpfen - das Ende der Menschheit würde eintreten. Von daher scheint es keine andere Option zu geben, als die Menschen zu verschrecken oder sie dazu zu zwingen, das Privileg der Unsterblichkeit für das Leben, das sie geschaffen haben, aufzugeben. Vor allem das Lösen dieses Konfliktes durch Parteien und generell das allgegenwärtige Dasein von Politik und Programmen hebt Future ebenfalls von anderen Dystopien ab, da es somit auf eine nationalere Ebene gelegt wird und sich nicht nur auf das Schicksal einiger Individuen in der Gesellschaft beschränkt. Ganz zu schweigen davon, dass man in Future auch etwas über das Schicksal anderer Länder oder Kontinente in Erfahrung bringt und es nicht nur auf eine Stadt oder ein Land begrenzt bleibt. So ist es eine sehr viel glaubwürdigere Welt, die man sich zudem auch einfacher vorstellen kann. Von daher hat Glukhovsky eine wahrlich gute Arbeit geleistet, vor allem, weil diese Welt gar nicht so weit entfernt von der jetzigen erscheint.
Außerdem besitzt Glukhovsky auch einen sehr außergewöhnlichen Schreibstil und versteht sich auf den Gebieten von bildlicher und sachlicher Ebene wirklich sehr gut. Selten habe ich in einem Buch so viele unterschiedliche Parabeln oder Metaphern angetroffen, die dazu auch alle logisch und angemessen erscheinen. Man fühlt sich wohl und liest flüssig und gepackt seine Worte, die einen in eine dystopische Welt hineinsaugen und uns auch Probleme der heutigen Welt klar vor Augen zu führen versuchen. Kein Wort scheint fehl am Platz zu sein und insgesamt wirkt alles auch sehr wohlüberlegt. Insofern wird dieses Buch auch definitiv auf eine sehr herausstechende Art und Weise erzählt.
Und der Spannungsbogen, Leute. Während die ersten zweihundert Seiten nur zur Einführung dienen - da auf diese zweihundert Seiten wirklich selten Bezug genommen wird -, sind die anderen voller Action und Unterhaltung. Dies kommt nicht nur durch die Flashbacks von Jan oder dessen Aufträge zustande, sondern auch durch die Art und Weise, wie sich zwischen ihm und Annelie etwas entwickelt, und wie sich die gesamte Geschichte generell entwickelt, denn all dies geht in eine vollkommen unerwartete Richtung, auch wenn Glukhovsky eine lange Zeitspanne braucht, um den Leser dorthin zu führen und ihn nicht nur ständig im Dunkeln tapsen und gegen Sackgassen laufen zu lassen. Die Geschichte entwickelt sich von einer abenteuerlicher Achterbahnfahrt zu einer leisen, jedoch dramatischen Tragödie, die scheinbar nicht abgewendet werden kann. Der Leser wird über bestimmte Umstände aufgeklärt, die schockierender nicht sein könnten und dann, in letzter Sekunde, dreht der Autor den Spieß so um, dass die Tragödie doch keine ist ... sondern, wie der Autor selbst auf der letzten Seite beendet hat: DER ANFANG. Und das war einfach nur ein Geniestreich!



Auch wenn Glukhovsky eine etwas längere Anlaufphase braucht, um aus den Ideen für seine Dystopie ein gut funktionierendes, stabiles Konstrukt zu schaffen, die Geschichte, die er uns mitteilt, wird von Kapitel zu Kapitel besser und zeigt, dass dieser Autor unheimlich viel Potential hat. Seine Art zu schreiben ist großartig, seine Art, Charaktere und Persönlichkeiten darzustellen, wahnsinnig tiefgründig, seine Art, den Lesern Problematiken unseres Zeitalters und des kommenden zu erklären, einfühlsam und wahr. Hätte er sich schon von Anfang an so wohl in seiner Geschichte gefühlt, wäre das Buch definitiv eine der besten Dystopien, die ich je gelesen habe. Durch die vielen kleinen Schwächen, die sich jedoch lange aneinanderreiten, ist die Qualität des Buches jedoch deutlich gesunken. Eines, was sich Autoren also merken können: Wenn man anfangs noch nicht so recht weiß, was passieren soll, ist die Sex sells nicht unbedingt vorteilhaft.








Ich gebe dem Buch:



♥ Herzchen





Extra:


Andere Bücher von Glukhovsky:


*KLICK* um zur Beschreibung auf Goodreads zu gelangen

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Diese Buchreihe wurde sogar zu einem Spiel programmiert. 
Hier ist der erste Teil eines Let's Plays dazu:


CU
Sana

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