Dienstag, 6. Mai 2014

:)Rezension:): Der gute Mensch von Sezuan

Grundwissen:


Titel: Der gute Mensch von Sezuan
Autor/-in♥: Bertolt Brecht
Erschienen♥: am 04.02.1943 in Zürich uraufgeführt; 1964 im Suhrkamp Verlag
Seitenanzahl♥: 144 Seiten
Preis♥: 6, 00 € (broschiert)
Genre♥: Drama (Theaterstück), Parabelstück, Klassiker


Inhalt:


Euer einstiger Befehl
Gut zu sein und doch zu leben
Zerriss mich wie ein Blitz in zwei Hälften. Ich
Weiß nicht, wie es kam: gut zu sein zu andern
Und zu mir konnte ich nicht zugleich
Andern und mir zu helfen, war mir zu schwer!
- Shen Te



Das Stück, eine Parabel, zeigt am Einzelfall des Mädchens Shen Te das allgemeine Gesetz dieser Welt auf, dass es unmöglich ist, ,,gut zu sien und doch zu leben''. Drei Götter durchwandern die Welt auf der Suche nach einem guten Menschen. Sie wollen das Gerücht Lügen strafen, wonach die wirtschaftlichen Bedingungen auf Erden zu unerträglich seien, als dass die Menschen die Gebote der Götter zu befolgen vermöchten.



*Quelle: amazon.de



Meine Meinung ...





zum Cover:





Deutsches Cover: ♥


Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, dass man viel eher zu alten Klassikern greifen würde, wenn diese eine bessere Aufmachung hätten als diese hier? Denn ich zumindest finde es durchaus schade, dass heutzutage diese Sorte von Büchern überhaupt nicht mehr angerührt werden, denn nicht nur das Alte scheint vor allem junge Leute abzuschrecken, sondern auch diese Aufmachungen. Wer will schon ein Buch lesen, dass urinfarben ist?
Wenn man allerdings nur den Titel berücksichtigt, so ist dieser sehr gut getroffen, da es sich in diesem Drama hauptsächlich um die Suche nach eben diesem Menschen dreht und wie die Protagonistin versucht, dieser zu sein.
Wirklich enttäuschend, dass diesem Drama so wenig Beachtung geschenkt wird ...






zum Buch:






Ich muss zugeben, dass mich die klassische deutsche Literatur sehr positiv überrascht hat, zum einen, weil alle Lektüren, die ich aus dem Jahr vor 2000 stammen, mir bis jetzt nicht herausragend gut gefallen haben. Zwar beschränken sich meine Erfahrungen einzig und allein auf Wilhelm Tell und Der Hauptmann von Köpenick, aber eine Meinung darüber bilden kann man sich dennoch. Einerseits bin ich nie ein Fan von Dramen gewesen, weil reiner Dialog und Regieanweisungen mir oft nicht ausreichen, um die Tiefe der Charaktere oder das Setting genügend erfassen zu können, und andererseits habe ich seit Carl Zuckmayers Drama immer höllische Angst davor, wieder ein Buch lesen zu müssen, das im Berliner Dialekt verfasst wurde.
Allerdings ist die Sprache in diesem Drama dafür, dass es über sechzig Jahre her ist, relativ einfach gehalten und leicht verständlich. Vor allem hat es mir gefallen, dass die Charaktere sich ab und an ans Publikum richten und ihre Gedanken bewusst ihnen darlegen, da dies auf der einen Seite den Zuschauer/Leser etwas mehr ins Geschehen hineinzieht, andererseits damit Brechts Ziel erreicht wird, sein/e Publikum/Leserschaft zum Nachdenken anzuregen und zu erkennen, was diese Geschichte darstellt.
Dieses Grundgerüst des Dramas, nämlich das, was sich hinter der Geschichte verbirgt, ist nämlich das, was einen so mitreißt. Shen Te, eine ehemalige Prostituierte mit einem Herzen aus Gold (so widersprüchlich dies auch klingen mag) bekommt von den Göttern genügend Geld, um sich aus ihrer finanziellen Lage zu befreien und damit sie ihr Gutsein vollkommen ausleben kann. Jedoch ist es traurige Realität, dass gute Menschen, die noch dazu nicht darum bangen müssen, dass sie kein warmes Mittagessen auf den Tisch bekommen, schnell von Schmarotzern und Geld- und Machtgierigen nach Strich und Faden ausgenutzt werden, Shen Te allerdings die Götter nicht enttäuschen und ihr guter Mensch von Sezuan bleiben möchte. Aus diesem Grund legt sie sich eine zweite Identität so, die das genaue Gegenteil von der naiven, liebenden, selbstlosen Shen Te darstellt: Shui Ta - skrupellos, kühl, kalkulierend, einzig und allein auf Profit bedacht. So gesehen geht es in diesem Buch genau um diese Zerrissenheit eines Menschen: Man will, dass es einem selbst gut geht, will aber gleichzeitig den anderen Gutes tun - doch dies ist, wie sich in diesem Drama zeigt, schwer vereinbar in einer kapitalistischen Gesellschaft. Welchen Weg soll man also wählen? Ist einem das eigene Wohl oder das der anderen wichtiger? Spielt Moral bei solchen Verhältnissen überhaupt eine Rolle? Die Art und Weise, wie Brecht diese Fragen in den Raum stellt und seine Charaktere handeln lässt, ist einfach wunderbar, da ich der Meinung bin, dass diese Thematik viel zu häufig unter den Teppich gekehrt wird. Hier allerdings zeigt sie sich in zahlreichen Facetten: aus Verliebtheit alles für den Liebsten tun, aus Mitleid Menschen ernähren und bei sich aufnehmen, so vielen Personen Versprechungen machen, aus Angst, sie zu enttäuschen - und alles endet in gleicher Weise für die arme Shen Te. Jedoch widerfährt nicht nur ihr Ungerechtigkeit, sondern auch vielen anderen Charakteren des Buches, sodass man ihre Gier und ihre Unbarmherzigkeit gegenüber Shen Te sogar verstehen kann. Viele besitzen Wünsche, die nicht wahr werden können, weil das Geld fehlt, junge Menschen verdorben, weil sie bereits früh betrügen und lügen müssen, um zu überleben, und hinzu kommen noch die Eltern dieser Personen, die ihren Kindern und sich selbst aus dieser Misere heraushelfen wollen und sie deswegen in allem unterstützen. Vor allem das Verständnis, das man ihnen entgegenbringen kann, wenn man sich in ihre Lage hineinversetzt, ist wirklich erschreckend und schlüssig zugleich. Immerhin ist der Selbsterhaltungstrieb immer noch der stärkste, nicht wahr?
Dieses völlige Fehlen von einer Einteilung in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse, hat das Drama wahnsinnig realistisch erscheinen lassen, denn kein Mensch der Welt ist vollkommen gut, und kein Mensch der Welt ist vollkommen böse. Jeder besitzt seine Absichten und Hintergründe, so zu sein, wie man ist, und deswegen bringt Brecht auch einem bei, dass man nicht vorschnell urteilen und dieses Schubladendenken ablegen sollte. Natürlich führt er hier den Stereotypen auf, dass die Reichen kühl und hochnäsig sind, allerdings sind die Mittel- und Unterschicht in diesem Buch äußerst bunt gemischt. Shen Te sticht zwar durch ihre Gutmütigkeit sehr hervor und ist auch die hauptsächliche Sympathieträgerin des Buches, allerdings kann man den anderen Figuren dieses Buches ihre Handlungen nicht immer übel nehmen. Anfangs empfindet man vielleicht einen leisen Groll, da Shen Te es nicht verdient hat, so behandelt zu werden, doch wenn man sich die Frage stellt, ob man sich selbst unter solchen Umständen ehrenhafter verhalten würde, verebbt dieses Gefühl schlagartig und man beginnt, über sich selbst nachzudenken. Trotzdem kann zumindest ich nicht behaupten, dass ich irgendwelche Charaktere besonders ins Herz geschlossen hätte, nicht einmal Shen Te. Dieses Mädchen ist zwar ein wahrhaft herzlicher und tugendhafter Mensch, allerdings war ihre Naivität oftmals größer, als gut für sie war. Und bei den Nebencharakteren war es das genaue Gegenteil: Viele von ihnen sind im Grunde ihres Herzens freundlich, allerdings machen die Manipulation und die Gier dies fast vollkommen zunichte. Somit ein Hoch auf den Realismus der Charaktere!
Was mir ebenfalls an Brechts Stück gefällt, ist, wie er die Rolle der Götter darstellt. Diese übersehen nämlich die wirtschaftliche Krise auf Erden geflissentlich und sind sogar noch der Meinung, dass der gute Mensch vor allem in der größten Not zeigt, wie gut er tatsächlich ist. Somit sind die drei Götter aus Der gute Mensch von Sezuan nur für Ethik und Moral zuständig, haben ansonsten jedoch keine Ahnung von Finanzen, Wirtschaft oder Ökologie.
 Was haben Geschäfte mit einem rechtschaffenen und würdigen Leben zu tun? - Der erste Gott, S. 55
Somit haben Shen Te eine vollkommen unmögliche Aufgabe gegeben. Denn wie kann man gut sein, wenn man selbst nicht genügend Habe besitzt und sich auf das Wohl anderer konzentrieren kann? Nun, den Göttern ist diese Frage egal, da sie sich mit den harten Geschäften und Geld nicht im Geringsten auskennen. Anhand dieser Randfiguren im Drama zeigt Brecht auch, dass es unsinnig ist, sich auf dem Glauben zu stützen, dass eine höhere Macht die Situation der Menschen irgendwann wieder ins rechte Licht rückt und eine vollkommene Utopie entsteht, bei der jeder einzelne genug besitzt und seine Gutherzigkeit ohne Zaudern ausleben kann, denn wenn alle schon alles haben, warum sollte es dann so etwas wie Habgier und Stehlen geben? Es ist amüsant zu sehen, wie man erwartet, dass die Götter Shen Te bei ihrer Mission, gut zu sein, helfen, letztlich alles aber nur noch schlimmer machen und nicht einsehen wollen, dass die Suche nach guten Menschen vergebens ist, solange sie nicht etwas in der Welt ändern wollen.
Zu Demonstrationszwecken:

 Niemals! Soll die Welt geändert werden? Wie? Von wem? Nein, es ist alles in Ordnung! - Der erste Gott, S. 141
Aber selbst, wenn sie dazu bereit wären, so hätten sie nicht einmal die Mittel dazu, eine Änderung der Welt zu bewirken, da ihnen die Mittel dazu fehlen.
Dies ist zwar eine sehr zynische Einstellung, allerdings ergibt sie in dieser Welt vollkommen Sinn.
Ansonsten kann man über dieses Drama noch sagen, dass die Spannung zwar nicht allzu hoch ist, es am Ende jedoch einen Höhepunkt gibt, den man nicht unbedingt erwarten würde. Shen Te's Identitäten drohen, aufzufliegen, und die Arme weiß nicht mehr, wie sie vorgehen soll. Von Szene zu Szene sammeln sich mehr Probleme und Wendungen und türmen sich schließlich zu einer Lawine auf, die Shen Te zu vergraben drohen. Somit wird man als Leser definitiv bei der Stange gehalten und verfolgt auch alles neugierig mit. 
Und an dieser Stelle kommt der Punkt, an dem die Meinungen des Buches drastisch auseinander gehen: Die Auflösung des Konflikts, der keine Auflösung bietet. Zunächst ist man ziemlich schockiert darüber, dass man mit so vielen offenen Fragen zurückgelassen wird, allerdings finde ich nach langem Überlegen, dass es kein besseres Ende der Geschichte um Shen Te und Shui Ta hätte geben können. Denn wäre es ein Happy End, wäre es banal und zu nichts nütze gewesen, dieses Drama zu verfassen. Hätte es in einer Tragödie geendet, so wären die Zuschauer unzufrieden und unmotiviert gewesen, über das Stück nachzudenken. So aber hat Brecht einen exzellenten letzten Schliff geschaffen, der sehr real ist und das Publikum auffordert, nachzudenken, ja, er lässt ihm keine andere Wahl, als dies zu tun. Einfach ... brillant.





Ich habe zwar noch nicht viele Klassiker aus deutscher Feder gelesen, jedoch bin ich überzeugt, dass dies vermutlich eines der besten Wahlen wäre, die man treffen könnte. Das Drama bietet so viel Realität und Nähe und verhätschelt die Leserschaft nicht, dass alles auf dieser Welt gut ist. Außerdem wirft er so viele Fragen zur eigenen Person und zu der Natur des Menschen auf, stellt sogar den Nutzen von Moral infrage, und verpackt das alles in eine Geschichte mit einer Handlung voller Wendepunkte, sehr tiefgründigen und interessanten Charakteren und einem verständlichen Schreibstil fürs vergangene Jahrhundert. Ein Klassiker, der einen mitreißt!





Ich gebe dem Buch:


♥ Herzchen



Extra:


Dieses Werk von Brecht wurde bereits mehrfach verfilmt und in mehreren Theatern aufgeführt.

Hier eine Art der Trailer der aufgeführten Version eines Theaters in Aachen:




CU
Sana

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